dasgedichtblog.de – Fragebogen

23 Fragen an Arne Rautenberg - und ein Satz zum Ergänzen


1. Wann sind sie zum ersten Mal mit einem Gedicht in Kontakt gekommen?

Ganz unspektakulär in der Schule.

2. Haben Sie den ersten Kontakt mit Lyrik in positiver oder negativer Erinnerung?

Gedichte haben mich nicht sonderlich interessiert. Erst später, ich war bereits 19 Jahre alt und zeichnete seit Jahren jenseits des Schulbetriebs schräges Zeug – kurzum: ich fühlte mich bereits als Künstler – sah ich im Fernsehen einen Bericht über den amerikanischen Autor Richard Brautigan. Seine Werkausgabe erschien gerade bei Eichborn. Der hippieeske Typ interessierte mich, also fuhr ich am nächsten Tag mit dem Bus in die Stadt und kaufte mir die frisch gedruckten beiden ersten Bände seiner Werkausgabe; eine Storysammlung mit dem Titel Der Tokio-Montana-Express und einen Gedichtband mit dem Titel Die Pille gegen das Grubenunglück von Springhill. Ich erinnere mich noch daran, wie ich auf der Rückfahrt mit klopfendem Herzen im Bus saß, in den Gedichten blätterte und mich immer wieder festlas. Dabei stieß ich auf kurze Gedichte wie Landkartendusche: Ich möchte, daß mich/ dein Haar mit Landkarten/ neuer Orte bedeckt,// damit überall, wo ich/ hinkomme, alles so schön ist/ wie dein Haar. Das war einfach, schlicht, unakademisch, kitschig und trotzdem raffiniert. Ich musste an die blonden Locken meiner Freundin denken. Rückwirkend kann ich sagen, dass ich der aus den Brautigan-Texten herausdampfenden Wärme erlag.

3. Wann haben Sie Ihr erstes Gedicht geschrieben und wie lautet dessen Titel?

Ich muss Anfang zwanzig gewesen sein. Das Gedicht hieß „die neonröhre“ und es geht so:

die neonröhre ist
der geradegebogene
heiligenschein
einer gesellschaft
die mit licht
nichts am hut hat

4. Wo haben Sie Ihr erstes Gedicht veröffentlicht?

Das Gedicht „autobahnkapelle“ erschien in der Zeitschrift DAS GEDICHT Nr. 2. Das war 1994.

4. Was haben Sie der Lyrik zu verdanken?

Mein wunderbares freies Leben, mein Selbstbewusstsein, meine Ablassventil, die mir von Kindern und Erwachsenen entgegen gebrachte Bestätigung. Außerdem habe ich über das Schreiben von Gedichten mich dafür sensibilisieren können, meine Augen zu öffnen und zu versuchen, die gewöhnlichen Dinge nicht als Selbstverständlichkeit, sondern als Wunder in einem anderen Licht zu sehen und zu vermitteln. Und damit lebensintensivierend (oder verstörend?) auf mich und andere einzuwirken.

5. Was treibt Sie zum Schreiben von Gedichten an?

Eine innere Notwendigkeit. Der Glaube, dass von jedem Tag etwas übrig bleiben muss, damit er nicht unwiederbringlich verloren ist.

6. Was macht für Sie den Reiz der Poesie aus?

Der erhellende Überraschungsmoment, der einen beim Schreiben und Rezipieren von Poesie anfahren kann.

7. Ihr Lieblingsschriftsteller?

Zu viele.

8. Ihr Lieblingskünstler?

Ich schätze die Universellen, bei denen der Unterschied zwischen dem Machen von Poesie und dem Machen von Kunst verschwimmt: etwa Schwitters oder Arp oder Klee oder Ian Hamilton Finlay.

9. Ihr Lieblingsmusiker?

Nach den Beatles kommen nur noch die Beatmuntgeräte. Doch manchmal ertappe ich mich hierbei: The Cure hören und mit nem Strohhut in der Sonne liegen.

10. Ihr Lieblingsfilm?

Rashomon. Vielleicht die Filme der Kukus: Kubrick und Kurosawa.

11. Ihre Lieblingsfarbe?

Lufthansagelb.

12. Ihr Lieblingswort?

Kirschkernweitspucken.

13. Ihr Lieblingsvers?

Durchs feuchte Herbstlaub
zu schlurfen ist ein unmerklicher
Orgasmus für das Kind in mir

(Diesen denkwürdigen Vers von meinem Freund Marcus Schneider sage ich mir seit über 20 Jahren stets von Neuem auf, wenn ich wieder mal durchs feuchte Herbstlaub schlurfe.)

14. Ihr Lieblingsgedicht?

Ich schätze mal eins von Gottfried Benn.

15. Ihr größter Fehler?

Manchmal sage ich zu schnell ja.

16. Was loben Ihre Freunde an Ihnen?

Manche staunen über den Umstand, dass ich schon sehr früh, etwa mit 14 Jahren, wusste, was ich vom Leben will: nämlich in aller Rücksichtslosigkeit ein Künstler sein (und damit ein Kind bleiben) dürfen – später kam das Dichten dazu (irgendwie ist beides für mich wie das Ziehen am selben Strang) – und so habe ich das Kunstmachen seither jeden Tag durchgezogen. Gegen alle Widerstände. Und ich fühle mich sehr wohl mit dieser Entscheidung. Leider macht Dichten arm, deswegen freue ich mich immer darüber, wenn meine Arbeit geschätzt wird und mir gelegentlich etwas Wohlfahrt widerfährt.

17. Mit wem würden Sie gerne gemeinsam auftreten?

Mit dem Geist von Rilke.

18. Wem möchten Sie nicht in der Sauna begegnen?

Mir egal, wer mit mir in der Sauna ist.

20. Welcher Vorzug von Ihnen wird verkannt?

Wohl am ehesten die Vielseitigkeit und Konstanz meiner Arbeit.

19. Was war Ihr bislang schönstes Erlebnis mit einem Gedicht?

So ziemlich zu Beginn meiner Veröffentlichungstätigkeit zu merken, dass ein schräges Lautgedicht von mir ohne mein Wissen von einem kleinen kopierten Heftchen mitten hinein in ein gelbes Reclam-Heft wandern konnte.

20. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich wünschen?

Mehr Wirkmacht für meine Gedichte.

23. Welche Nebeneffekte im Literaturbetrieb wären für Sie verzichtbar?

Weniger Geschacher und weniger Geläster.

Und zum Abschluss eine Satzergänzung:

Wenn ich nochmals auf die Welt käme, würde ich mich freuen, wenn mir meine Passion wieder so früh in die Quere kommt - - und wenn ich meine persönlichen drei Glücksfaktoren wieder ausleben darf: 1) Etwas tun, was man gerne tut. 2) Frei über meine Zeit verfügen. 3) So viel Zeit wie möglich mit denen verbringen, die mir am wichtigsten sind.