Warum die Dinge so sind wie sie sind
– Interview mit Franz Lettner für 1001 Buch –
Sie sind der erste Preisträger des Josef Guggenmos-Lyrikpreises. Ich sehe einiges, das Sie mit diesem wahrscheinlich bekanntesten deutschen Kinderlyriker verbindet: Die Vielseitigkeit der Form, Erwachsene und Kinder als Lesepublikum, Humor als tragende Säule, viele Tiere in den Gedichten. Was unterscheidet Sie von Guggenmos (abgesehen davon, dass er nicht am Meer lebte; immerhin hat er seinen Gugummer zwar im Titel über den See gehen lassen, nach Amerika aber auch durchs Meer)? Haben Sie als Kind Guggenmos-Gedichte gelesen? Haben Sie ein Lieblingsgedicht?
Ich komme aus der Kunst. Bis zum Alter von 14 Jahren war ich ein ganz normaler Teenager. Dann sah ich eines Nachts den Film „Vincent van Gogh – ein Leben in Leidenschaft“ mit Kirk Douglas und Anthony Quinn. Es war, als hätte man in mir einen Schalter umgelegt. Ich empfand so viel Empathie mit der leidenden Künstlerkreatur, dass ich am nächsten Tag meine Buntstifte rausgeholt und mit heiligem Ernst Bilder geschaffen habe. 10 Jahre lang las ich ausschließlich Kunstbücher. Die Moderne ist mein Bezugssystem. Dada, Marcel Duchamp, Kurt Schwitters, da komme ich her. Dada hat mir gezeigt, dass man nicht wirklich erwachsen werden muss. Man kann sich als Erwachsener auch noch dem Unsinn verschreiben. Das hat mir Mut gemacht! Marcel Duchamp hat mir gezeigt, dass man immer noch weiter denken kann. Und Kurt Schwitters zeigte mir, dass man Kunst machen UND schreiben kann – und alles auf ganz unterschiedliche Weise. Deswegen sage ich auch immer: Mein Programm ist es, keins zu haben, ich gehe dahin, wo mich die Ideen hinhaben wollen. Erst mit „An Anna Blume“ von Kurt Schwitters begann ich also wieder Gedichte zu lesen. Was Kindergedichte angeht, so habe ich in der Grundschulzeit Gedichte von James Krüss kennengelernt, daran erinnere ich mich. Wenn die Möpse Schnäpse trinken! Meine Grundschullehrerin, die mir das Lesen und Schreiben beibrachte, Frau Paulsen, war sogar mit James Krüss bekannt. Vor ein paar Jahren, als sie rausbekam, dass ich auch Kindergedichte schreibe, hat sie mich kontaktiert und mir ihre signierten James-Krüss-Bücher geschenkt, ist das nicht nett? Jedenfalls empfinde ich heute eine große Nähe zu den Gedichten von Josef Guggenmos, zu seinen Schnirkelschnecken oder zu dem Typen, der den Dinosaurier so lange bestaunt, bis der Dino ihm durchs Radieschenbeet trampelt – Hey Sie! Herrlich! Tja, was unterscheidet uns? Vielleicht sind Guggenmos´ Gedichte in summa etwas absichts- und gehaltvoller – dafür bin ich in meiner Lyrik mit ernsterer Lyrik, Gedichten für Kinder und Gedichten im Spannungsfeld zwischen Bild und Text (= visuelle Poesie) noch etwas breiter aufgestellt. Vielleicht gehe ich auch noch leichtfertiger mit dem (vermeintlichen) Sinngefüge um. In jedem Fall können wir beide in unseren Arbeiten auch existentielle Abgründe aushalten. Das finde ich extrem wichtig. Denn vor dem dunklen Hintergrund beginnen die bunten Farben erst richtig zu leuchten.
Sie sind als freischaffender Lyriker immer glücklich, einen Preis zu bekommen, nehme ich an, zumal, wenn er dotiert ist. Poesie verkauft sich schlecht, sagt man, Sie können leben davon. Bleibt man schlank dabei?
Ich habe kein besonderes Talent darin, Preise zu erhalten. Eigentlich war der Josef Guggenmos-Preis 2016 der erste Preis, den ich bekommen habe. Ein Jahr später wurde ich in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gewählt. Klar, das fühlt sich gut an. Ich freue mich auch über die Aufmerksamkeit, die mit dem Preis einhergeht, denn ich möchte, dass meine Gedichte gelesen werden. Ich schreibe nun seit über 30 Jahren Gedichte und inzwischen ist es so, dass ich mich um nichts mehr kümmere und mir alles zufliegt: zum Beispiel all die Lesungen, die ich mache, und von denen ich hauptsächlich lebe. Und jedes Jahr nehme ich ein Kilo zu! Wo soll das hinführen?
Nun ist ja einer Ihrer Lyrikbände in der wunderbaren Reihe „Gedichte für neugierige Kinder“ bei Boje rausgekommen, die sich wie man hörte, auch nicht sonderlich gut verkauft hat (und dann ja auch beendet wurde). Die letzten drei Sammlungen sind im Peter Hammer Verlag erschienen. Ein guter Ort für Sie und Poesie?
Ich habe Glück mit dem Peter Hammer Verlag und fühle mich dort sehr wohl. Denn es gibt kaum mehr Verlage, die sich trauen, Einzelbände von Kinderdichtern anzubieten; was noch geht, ist die Sammlung, das Hausbuch, am besten mit einer thematischen Ausrichtung. Die 2008 von Ulrich Störiko-Blume und Natalie Tornai initiierte Boje-Reihe „Gedichte für neugierige Kinder“ war ein Leuchtturmprojekt für die Sache der Poesie. Das war mir von Anfang an klar. Das hatte es ja vorher noch nie im deutschsprachigen Raum gegeben: eine kostengünstig angebotene Hardcoverreihe mit aufwendig illustrierten Gedichten für Kinder. Viele der Gedichte wanderten in Schulbücher. Und so schlecht haben die sich gar nicht verkauft: 3000 verkaufte Exemplare sind für einen Gedichtband doch schon eine Hausnummer. Das war phantastisch. Klar haben Gedichte es auf dem Markt schwer. Ab wie wichtig sind Gedichte bitte sehr? Zum Beispiel für die ersten intellektuellen Sprach-Erfolge etwa mit Reimwörtern bei Volksschulkindern etc. - - meine Meinung ist, dass gerade auch die großen Verlage sich nicht nur an die Profitvermehrung halten, sondern sich auch den Fortgang der poetischen Bildung auf ihre Fahnen schreiben sollten.
Sie sind einer, der regelmäßig arbeitet, zu festen Zeiten vielleicht sogar? Wie viel „hauen Sie raus“ in fünf Tagen dichten? Und gibt es Zeitpläne in Bezug auf eine Aufteilung des Schreibens für Kinder, für Erwachsene, Arbeiten im visuellen Bereich, …
Ich bin ein Getriebener, definiere mich über meinen Output. Ein Tag, von dem nichts übrig bleibt, der ist verloren für immer. Deswegen versuche ich jeden Tag, irgendetwas auf die Reihe zu kriegen, zumindest ein paar Ideen zu entwickeln, ein paar Notizen zu machen. Am liebsten schreibe ich Gedichte. Meistens schreibe ich in der Nacht, wenn meine Frau und meine Kinder schlafen. Wenn kein Telefon und kein Handy mehr klingelt, wenn keine Emails, keine SMS und keine Whats app-Nachrichten mehr kommen. Wenn niemand mehr etwas von mir will. Dann wird es ganz still in meinem Kopf. Und dann kommen so langsam die Ideen, der Cursor blinkt – und es geht los. Manchmal trinke ich Bier dabei. Gedichte schreiben hat auch etwas mit Kontrollverlust zu tun. Der schöpferische Zustand ist ein entgrenzter, in dem viel mehr möglich ist, als man sich vorstellen kann. Deswegen gehe ich auch immer dahin, wo mich meine Ideen hinhaben wollen. Ich nehme mir nichts vor und lasse alles zu.
Die Herangehensweise ist immer eine andere? Anders gefragt: Was unterscheidet Gedichte für Kinder von jenen für Erwachsene?
Das Label „Kindergedichte“ ist ein Behelf, der besagt, dass diese Gedichte auch von Kindern gelesen werden können. Es gibt ja auch andere Gedichte, die nicht für Kinder geeignet sind, weil sie zu intellektuell anspielungsreich, voll mit Schimpfworten, zu verstörend, bösartig oder sexuell konnotiert sind. Deswegen ist es gut, Gedichte, die besonders für Kinder geeignet sind, auch als solche zu kennzeichnen.
Wann kann oder muss Reim sein?
Gedichte müssen sich überhaupt nicht reimen. Ich schreibe viele Gedichte, die sich nicht reimen. Doch der Reim ist auch toll. Er ist wie ein Klebstoff, der die verrücktesten Ideen in einem Gedicht zusammenhalten kann. Außerdem kann man sich gereimte Gedichte besser merken, das gefällt mir. Und gereimte Gedichte erinnern daran, wo die Dichtkunst herkommt: vom Lied. Ganz früher wurden Gedichte ja gesungen. Und auch heute noch sind die Texte in Liedern gereimt.
Ist das Spielerische Moment für Kindergedichte wichtiger (also Sprachspiele in jeder Form, aber auch sehr spielerisches Assoziieren) Visuelle Kindergedichte sind eher selten („ein blatt“ in „der wind …“ könnte man dazurechnen, „marienkäfererscheinung“ in „montag“, und dann das schöne „die vögel am himmel“ auf der letzten Seite in „rotkäppchen“ - und dann davor das „träum nur wenn du willst“, gut, sind doch mehr, als ich dachte. Wie ist das mit dem Humor da oder dort? Und mit der Ironie, die ich in Ihren Gedichten für Kinder gar nicht bemerkt habe?
Zum Lachen sollen alle was haben, oder?
Humor ist total wichtig. In meinen Schul-Lesungen, die ich meist in den Klassenstufen 1-6 mache, wird viel gelacht. Warum? Weil viele Gedichte kleine Überraschungsangriffe auf das Erwartbare sind. Wenn Erwartungshaltungen durchbrochen werden, mischt sich das Erstaunen oft mit Gelächter. Anschließend ist es nur ein kleiner Schritt zur Frage: warum die Dinge so sind, wie sie sind. Für mich sind Gedichte kleine Textmaschinen, welche die Lust zum Nachdenken erwecken sollen. Ironie finde ich da irgendwie unangemessen. Das ist so hierarchiemäßig. Da bin ich dann der Checker, der alles blickt, und alle, die die von mir gesetzte Ironie nicht verstehen, bleiben auf der Strecke und sind die Blöden. Irgendwie scheint mir ein arroganter Kern in der Ironie zu stecken. Die ironische Haltung empfinde ich im Zusammenhang mit Kinderliteratur eher unpassend. Und was das visuelle Sprachspiel angeht, ist da sicher noch Luft nach oben. Da visuelle Poesie eins meiner Fachgebiete ist, werde ich mich da mal ranmachen.
Noch eine Nebenfrage: Sie lassen in Bezug auf Interpunktion und Groß- und Kleinschreibung die deutsche Rechtschreibung völlig außer Acht. Hat das mit dem visuellen zu tun oder warum ist Ihnen das wichtig?
Gedichte sind die freiesten literarischen Gebilde, die es gibt. In dieser Kunstwelt bin ich der Bestimmer und darf alles so machen, wie ich will. Zum Beispiel schreibe in meinen Gedichten alles klein, weil ich nicht möchte, dass manche Wörter wichtiger aussehen als andere Wörter; schließlich habe ich mir über den Einsatz aller Wörter die gleich wichtigen Gedanken gemacht. Und dann vermeide ich Satzzeichen in meinen Gedichten, weil ich den Sprachfluss im Gedicht wunderbar über die Zeilenbrüche regeln kann. Das Ergebnis ist ein kleingeschriebenes Gedicht ohne Satzzeichen. Das sieht unheimlich elegant aus. Und genauso müssen meine Gedichte aussehen!
wird ein „meister der kleinen Form“ genannt, sein erster Gedichtband von 1956 hieß „Lustige Verse für kleine Leute“ - das Kleine groß machen, diese Wendung kommt mehrmals vor, wenn Sie sich über Lyrik äußern. Das Kleine sind die Dinge und Geschehnisse und Gefühle des Alltags, alles, was nicht ohnehin meist mit Pathos daherkommt? Pathos ist nicht Ihre Sache, oder?
Das Kleine wird oft übersehen, weil es als so nebensächlich erscheint. Vielleicht muss man nur mal die Lupe drauflegen, um das Kleine als ein Wunder zu erkennen. Ist es nicht schön, wie die ganze Welt leise zu werden beginnt, wenn der Schnee fällt? Pathos ist das genaue Gegenteil. Vermeintlich große Dinge auch noch künstlich aufblasen – wozu soll das gut sein? Da rieche ich förmlich das indoktrinierende Sendungsbewusstsein – und das ist das Gegenteil von Kunst!
Ist Lyrik die literarische Gattung, die die höchste Präzision verlangt, ein Schreiben mit der Apothekerwaage, also: kein Wort, kein Laut, keine Zeile zu viel?
Das kann schon sein. Ich habe Gedichte geschrieben, bei denen ich einzelne passende Wörter regelrecht jagen musste. Und wenn ich sie dann hatte, konnte ich sie wie ein Schmuckmacher in die Fassung meiner Gedichtform einpassen. Oftmals geht es nur um Nuancen, die sich schnell zur Metaphysik ausweiten können. Eine Schülerin fragte mich, ob ich ein Gedicht über ein Einhorn schreiben kann. Also setzte ich mich hin und schrieb. Dabei merkte ich, dass ich kein Einhorn-, sondern lediglich ein Keinhorn-Gedicht schreiben konnte. Also letztlich ein Pferdegedicht… Manchmal lasse ich es beim Schreiben von Gedichten auch einfach laufen, das kann auch gut und richtig sein. Denn die Gedichte wollen so rauskommen, wie sie rauskommen. Dem füge ich mich natürlich. Neu geschriebene Gedichte brauchen einige Zeit, bis man sie mit einem frischen Blick noch einmal kritisch betrachten und verbessern kann. Deswegen habe ich ein kleines Heer von Schattenlektoren um mich herum, Freunde, Verwandte, Bekannte, die meine Gedichte lesen, bevor ich sie raus in die Welt lasse. Solche ein Korrektiv ist absolut nötig, weil einem manchmal der Abstand zur eigenen Arbeit fehlt.
Lyrik und Lyrics werden immer wieder zusammengebracht. Auch viele Ihrer Gedichte haben was sehr musikalisches, Laut, Klang und Rhythmus sind ganz wichtig: Wie eng sehen Sie Verwandtschaft? Ist Musik wichtig für Sie, inspirierend? Und wenn ja, welche? Ich habe gelesen, Sie mögen nur die Beatles und sonst nichts. Was halten Sie etwa von den Musikern der Hamburger Schule, die ja zumindest topografisch in ihrer Nähe sind, also Blumfeld, Die Sterne oder Tocotronic, um die erfolgreichsten zu nennen?
Das stimmt nicht. Die Namen der vier Beatles klingen für mich zwar wie die Namen der vier Evangelisten. Doch ich war und bin mein ganzes Leben lang ein Musikjunkie gewesen. Von klassischer Musik habe ich keine Ahnung, obwohl ich gern in Opern gehe. Ich bin Pop/Rock-sozialisiert und verbrauche zeit meines Lebens neue Musik. In meinem Teenager-Zimmer hingen lauter KISS-Poster und das Abschiedsposter von Bon Scott aus der Pop/Rocky. Unfassbar der Moment, als sich Kurt Cobain das Licht ausgeblasen hat. Ich bin auch aus alter Verbundenheit noch Metalhead und gehe demnächst aufs Metallica-Konzert (vor allen Dingen wegen deren ersten vier Platten). Auch zur Indie-Ikone Courtney Barnett fahre ich mit meiner Tochter. Ich liebe Rap und Gitarrenmusik, gerne mit deutschen Texten. Der ehemalige Orgelspieler von Die Sterne, Frank Will, ist einer meiner besten Freunde, mit Peter Licht habe ich mich gerade angefreundet. Und es gibt immer was Neues. Käpt´n Peng und die Tentakel von Delphi. Unser Sohn ist 14 und hört leidenschaftlich Trap. Ich liebe diese Musik. Lil Peep, RIN, Ufo 361, es geht immer weiter.
Apropos Bands: Da ist die Performance sehr wichtig. Ist das bei Lyrik nicht auch so? Kann man Gedichte leise lesen? Lesen Sie gerne vor? Wie viele Lesungen absolvieren Sie im Jahr?
Es gibt kein Rezept. Man kann Gedichte leise oder laut lesen. Ich lese mir meine Gedichte beim Schreiben schon laut vor. Um zu hören, ob es irgendwo hakt. Und ich liebe es, Dichterlesungen zu machen. Obwohl ich meine lyrischen Erwackungserlebnisse meist still und allein mit einem Buch in der Hand habe, ist mir, als würden meine Gedichte oft erst bei einer Lesung richtig zur Performance kommen. Ich würde sagen, ich mache so etwa 70 Schullesungen pro Jahr. Und vielleicht 20 Lesungen für Erwachsene. Ich bin ein Reisender geworden und durchkreuze den deutschsprachigen Raum mit meinen Gedichten. Das tue ich sehr gern, denn ich habe noch viel vor. Ich möchte die Dichtung weiter aus der staubigen Ecke rausholen und sie wieder populärer machen.
Ihre letzten beiden Lyrikbände für Kinder wurden - nach Karsten Teich und Nadia Budde, von Jens Rassmus illustriert. Weil er wie Sie in Kiel lebt? Was schätzen Sie an seinen Illustrationen (ich gehe davon aus, dass Sie ihn mögen, sonst wäre wohl nicht schon der zweite Band von ihm illustriert)? Was macht gute Illustrationen zu Gedichten aus? Nicht zu viel/alles zu erzählen? Das Gedicht noch mal auf den Punkt bringen? Kongenial scheint mir das bei „viel wollen“ der Fall zu sein - was sagen Sie dazu?
Jens Rassmus ist mein Freund und es ist ein schöner Zufall, dass wir in Kiel 400 Meter Luftlinie voneinander entfernt wohnen. Was ich an seinen Illustrationen mag, ist, dass sie nicht zu gefällig daherkommen, dass es immer stilvolle Tiere und Gesichter sind. Ich mag seinen Strich, seine Bildfindungen sehr gern. Für mich ist er einer der besten Bilderbuchkünstler, die wir haben. Nadia Buddes Illustrationen haben mir auch sehr gefallen. Sie hat sich für die Bebilderung meines Gruselgedichtbandes einige Gedanken um die hässlichsten Farben gemacht, die man dafür verwenden kann. Und dann das Cover – es sollte sofort Bäng! machen.
Noch eine ganz andere Sache: Diese Ausgabe von 1001 Buch setzt sich zentral mit dem ICH auseinander, mit Auto- und Biographie. Was halten Sie vom lyrischen Ich? Und in wie weit wird Ihre Poesie von Ihrem eigenen Leben gespeist. Gibt es so etwas wie autobiographische Gedichte?
Viele Gedichte kommen aus meinem Alltag oder der unmittelbaren Anschauung. So sind die speziellen Mau-Mau-Regeln in unserer Familie zu einem Gedicht geworden. Sich am Montag die Mütze falsch herum aufzusetzen ist eine Idee von meinem Sohn. Meine Tochter hat mir mal erklärt, warum die guten Träume schlechte Träume sind. Und sie war es auch, die sich, wenn sie traurig war, von ihrem Meerschweinchen die Tränen aus dem Gesicht lecken ließ. Ist das nun total süß oder total eklig? Manchmal benutze ich das lyrische Ich einfach 1:1 zu dem von mir empfundenen Ich. Das kann Gedichten eine ganz eigene Kraft geben. Und wenn man mich fragt: Sind Sie das im Gedicht? – dann sage ich einfach: Ja!
Und noch eine andere Sache: Wie ist das mit fremder Lyrik? Lesen Sie viel davon – und wenn ja, wann und wo? Sie werden gern mit Morgenstern in Zusammenhang gebracht, Franzobel nennt Sie „Mein Ebenbild in Kiel - und doch ganz jemand anderes.“ Was halten Sie von den Wienern, H. C. Artmann, Ernst Jandl, Friedrich Achleitner, Friederike Mayröcker, Friederike Gerstl. Die leb(t)en ja alle weit weg vom Meer, das Ihnen so nah ist – und auch wichtig, wie in Interviews zu lesen ist. Irgendjemand dabei, mit dem Sie etwas speziell verbindet?
Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Gedichte auch für Kinder zu schreiben, wenn mich meine Tochter nicht, als sie 6 Jahre alt war, gefragt hätte, was ich eigentlich beruflich so mache. „Ich bin Dichter, ich schreibe Gedichte“, sagte ich zu ihr. Ich habe ihr erklärt, was ein Gedicht ist – und dann wollte sie, dass ich ein Gedicht für sie schreibe, über Walrosse, natürlich. So begann ich Kindergedichte zu schreiben. Und in den kommenden Jahren auch Kindergedichte zu lesen. Ich glaube, ich habe mir als erstes alle Gelberg-Sammlungen reingezogen, um zu verstehen, was Kindergedichte eigentlich sein sollen und wie sie gehen. Und dann habe ich begonnen, mein eigenes Süppchen zu kochen. Da ich von der Kunst her komme und experimentellen Autorinnen und Autoren immer sehr aufgeschlossen gegenüber bin, begleiten mich Jandl, Artmann, Rühm – aber auch Dichterinnen wie Christine Lavant, Ingeborg Bachmann oder Emily Dickinson seit jeher. Diese Zauber-Stimmen fanden sofort einen Zugang zu meinem Herzen und zu meiner Seele. Ich habe nie aufgehört sie zu lesen und werde es auch niemals tun!
Arne Rautenberg - 13. Februar 2025, 03:51
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