Interview zu Kindergedichten mit dem Deutschlandfunk vom 03.01.2013
Kinder brauchen Gedichte – warum?
Naja, weil das Gedicht ein Medium ist, mit dem man spielen und Spaß haben kann. Weil Gedichte die Lust an der Sprache befeuern. Und weil – meiner Meinung nach – die lustvolle Benutzung der Sprache mit der lustvollen Benutzung des Denkens einhergeht. Kurzum: Gedichte fördern den kreativen Geist! .
Pferde, Schweine, Fische, Marienkäfer, Feldmäuse, Enten, Mäuse – wie gefallen Ihnen die Tierfiguren von Carll Cneut in dem Band „Hier wohnt mein Glück“?
Generell kann man sagen: Tiere sind natürlich gute Stellvertreter für Menschen. Sie sind die Guten, sie sind niedlich – stehen aber auch woanders als man selber. Tiere lassen sich herrlich in abstruse Situationen verwickeln. Das ergibt oft lustige Reibungsflächen. Und außerdem interessieren sich Kinder ganz besonders für Tiere. Mir gefallen die Bilder von Carll Cneutt ausgezeichnet: Er zieht die Tiere an und gibt ihnen den aufrechten Gang, aber das macht es auf eine so klassische, zeitlose, sich nicht anbiedernde Art – also auch ganz leicht zurückgenommen – dass es einfach großartig ist. Seine Illustrationen sind von einer hellen und intelligenten Aura: und (das finde ich auch ganz wichtig): sie funktionieren bei Erwachsenen genauso gut wie bei Kindern. .
Kannten Sie die Bilder des Künstlers bereits vorher schon?
Natalie Tornai, die Mit-Herausgeberin und Initiatorin des deutschsprachigen Version dieses Sammelbandes von Tiergedichten, kennt sich gut in der Kinder- und Bilderbuchszene in Belgien und Holland aus. Und so erzählte sie mir von Carl Cneutt als „einem der größten Bilderbuchkünstler unserer Zeit“. Das machte mich neugierig; also schickte sie mir die holländische Version der Anthologie… ich war begeistert.
Waren alle Gedichte von Ihnen zu diesem Band Auftragsarbeiten und konnten Sie sich die Tierfiguren aussuchen?
Ich bekam einen Schwung vonb 100 Bildern - und da hieß es: wenn du kannst, mach was draus. Und zu 24 Bildern habe ich mir dann Gedichte einfallen lassen.
Ist es schwieriger ein Gedicht mit bildlichen Vorgaben, ein Pferd in der Wiese sitzend oder ein toter Vogel neben Blumen liegend, zu schreiben?
Eigentlich nicht: auf der einen Seite ist man zwar nicht mehr so frei für den zündenden Funken, weil man ja eine bildliche Vorgabe hat – auf der anderen Seite hilft einem die bildliche Vorgabe, sich einmal auf etwas Neues einzulassen, z.B. auf einen tanzenden Dino in bunten Hallodri-Klamotten.
Inwiefern gehören für Sie Gedichte und Bildende Kunst zusammen?
Man hat in seinem künstlerischen Programm eigentlich keine andere Wahl, als lediglich Ausschnitte der Wirklichkeit zu nehmen und miteinander zu kombinieren (und auf dieser Reibung fußt ein gewisser Funkenschlag, der fragt: wieso passt das jetzt so gut zusammen?) - - - oder anders gesagt: Es geht darum, Dinge zusammenzubringen, die eigentlich nicht zusammen gehören - - und nichts anderes ist ja das Prinzip der Collage, das wir sowohl aus der Literatur, als auch aus der Bildenden Kunst kennen. Das ist übrigens nur ein Teil meines Programms. Das zweite ist der: die kleinen Dinge groß zu machen – und nicht die Großen klein. Es geht mir eben nicht darum, eine Übersicht zu suggerieren und dann irgendwie vereinfacht zusammenzuschmelzen – sondern genau ums Gegenteil: es geht mir darum, durch einen wachen Blick all die Kleinigkeiten zu bemerken und aufzulesen, die um uns herum sind: und diese als etwas ganz Besonderes in den Fokus zu rücken.
Schreiben sich Gedichte für Kinder anders als für Erwachsene?
Ja, schon: ich erlaube mir bei Gedichten für Kinder einerseits mehr und andererseits weniger. Ich erlaube mir mehr, einfach sein zu dürfen, hemmungsloser zu reimen, lustiger und unbedenklicher sein zu dürfen - - ich erlaube mir weniger: hart und finster zu sein, keine schlimmen Schimpfworte zu benutzen, erlaube mir keine Erotizismen - - doch manchmal, wenn das Gedicht es frech einfordert, dass ich es doch tun sollte, dann kann ich einfach nicht anders und lebe auch das aus - - diese Gedichte sammel ich dann unter der Rubrik: „Kindergedichte für Erwachsene“ - -
„da sitzt ein hund im mond“ ist eher die Ausnahme. Ihre Gedichte sind nicht immer unbedingt gefällig oder schnell lernbar – der Reim ist kein Muss – ist Ihnen das Spiel mit Sprache wichtiger als eine klassisch eingängige Versform?
Ich schätze eingängige Versformen, ich schätze auch den Reim –der dem Suchenden in einem Gedicht ja ein stabilisierendes Moment entgegensetzt – und ich habe auch überhaupt keine Angst vor einfachen Ideen; doch das kann nicht alles sein in der Poesie: meist sagt einem das Gedicht ja selbst, was es will / wie es daher kommen will, manchmal müssen neue Formen erfunden und erprobt werden, muss Ideen nachgegangen werden, müssen die alte Formen aufgebrochen werden, um etwas Neues zu riskieren oder einfach nur auszuprobieren, manchmal muss einfach rücksichtslos gespielt werden…
Mein Programm ist hier: keins zu haben: ich möchte, dass meine Gedichte überraschen und erhellen, dass sie zum Nachdenken anregen - - was das Formale angeht, lasse ich mich da (im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen) überhaupt nicht einengen, sondern gehe immer dahin, wohin mich eine Idee haben will: ich gehe meinen Ideen nach, das ist alles. Und was das Inhaltliche angeht: das Leben besteht ja nicht nur aus hellen, sondern auch aus nachdenklichen, ja manchmal dunklen Momenten. Und auch die finden sich in meinen Gedichten.
Haben Sie noch einen engen Bezug zu ihrer Kindheit oder wird das gerade bei Autoren, die für Kinder schreiben, zu wichtig genommen?
Durch unsere beiden Kinder, die 9 und 13 sind, bin ich viel näher an der Kindheit von heute dran, als ich es aus der Erinnerung heraus an meiner eigenen Kindheit bin - - Star Wars / Bayern München / bunte Hosen / selbstgehäkelte Mützen / Ohrlochstechen / Grace Anatomie - - das sind so momentan die Themen bei uns…
Kleinschreibung und wenig Interpunktion - ist das ein Markenzeichen oder steckt dahinter eine bestimmte Intention?
Ich halte meine Gedichte gern formal schlank und elegant: Mir gefällt die Idee nicht, dass manche Worte in einem Gedicht groß und andere kleingeschrieben sind. Das sieht so aus, als wären einige Worte wichtiger als andere - - und gerade das soll in einem Gedicht ja nicht der Fall sein: hier wäge ich schließlich jedes Wort gleich sorgfältig ab, und möchte dabei keines als größer oder kleiner gewichten. Und ich finde, die Interpunktion regelt das Gedicht über Zeilenlängen und Zeilenbrüche schon zum größten Teil selbst, deswegen minimiere ich Satzzeichen in meinen Gedichten. Generell: möchte ich zeigen, dass Gedichte eigenständige Gebilde sind, die ganz eigene Systeme hervorbringen, die frei sind - und sich eben nicht irgendeinem anderen Regelsystem unterwerfen müssen - - denen unterwirft man sich im Leben schon oft genug, das muss man dann nicht auch noch in der Kunst haben…