Stets aufs Neue etwas Neues erschaffen
Interview mit Simona Musall für den Blog "Haus der deutschen Sprache" im Februar 2015Die Synthese von Kunst und Text ist in ihrem Werk deutlich. Ist das eine Verbindung, die sich aus ihrem Interesse für Literatur und Kunst ergeben hat oder steckt eine Idee dahinter?
Es wurde mir erst in den letzten Jahren klar, dass das Machen von Kunst und das Schaffen von Text sich bei mir aus derselben programmatischen Quelle speist. Zum einen: Dinge zusammenbringen, die nicht zusammen gehören – zum anderen: das Kleine groß machen. Das geschieht sowohl in meinen Texten, als auch in meinen bildkünstlerischen Arbeiten.
Sie drücken sich künstlerisch auf vielfältige Weise aus: Es gibt viel Form, Farbe, Schrift und Wortspielereien zu sehen. Zum Beispiel die Lyrik, die spielerisch in Formen gestaltet ist, sie fertigen Collagen an, Bilder mit Schriften, Schreiben ganze Bücher und fertigen Steinskulpturen an. Woher nehmen Sie diese Ihre Ideen? Verraten Sie uns eine Inspirationsquelle?
Ich gehe schlichtweg mit offenen Augen durchs Leben, lasse mich von der Natur, meinen unmittelbaren Erlebnissen und Erfahrungen, der medialen Weltvermittlung, vor allem von Büchern und der Kunst selbst inspirieren. Vieles geistert mir durch den Kopf. Manchmal entwickelt sich, ohne, dass ich es merke, ein Konzept; etwa Gedichte in Kreisform zu setzen oder Gedichte vom Papier zu befreien und als raumgreifendes Ereignis an der Wand zu präsentieren. Manchmal beflügeln mich Orte, für die ich eine Schriftinstallation, ein Kunstwerk erschaffen soll; und irgendwie glüht in mir immer der Draht, der mich mit meinem erweiterten Bewusstseinsstrom verbindet; also spinne ich weiter rum, mache mir Notizen und denke: Ein Tag, von dem nichts übrig bleibt, der ist nichts wert. Der ist verloren für immer. Deswegen versuche ich aus einer inneren Notwendigkeit heraus stets aufs Neue, etwas Neues zu erschaffen.
Vor allem Ihre optischen Gedichte weisen einen Einfluss durch die englische Sprache auf. Was bewegt Sie dazu, Texte bzw. Lyrik in englischer Sprache zu verfassen?
Das hat sicher mit den Quellen zu tun, etwa wenn ich auf Elemente aus der Pop-Kultur zurückgreife, in dem ich zum Beispiel aus dem Beatles-Song HONEY PIE innerlich einen anderen mache: MONEY PIE. Oder durch eine simple Buchstabenverdrehung aus dem Spruch MONEY MAKES THE WORLD GO ROUND einen viel Schöneren entwerfe: HONEY MAKES THE WORLD GO ROUND. Daraus ergibt sich dann vielleicht später eine Idee für ein optisches Gedicht, in welchem ich beide Aussprüche miteinander in Verbindung bringen kann… Ich suche das nicht bewusst, das fällt mir einfach so zu. Und da ich immer dahin gehe, wo meine Ideen mich hinhaben wollen, geht es bisweilen auch mal in die englische Sprache hinein.
Welche Bedeutung hat die deutsche Sprache oder auch die Sprache an sich für Ihre Arbeit?
Die deutsche Sprache bedeutet mir alles. Ihr gebe ich mich in meiner dichterischen Arbeit völlig hin. Lasse mich von ihr mitnehmen, lasse mich in ihr treiben. In ihren Tiefen lote ich die Grade zwischen Sinn und Unsinn aus. Die deutsche Sprache ermöglicht mir das Abenteuer Poesie. Dieses Abenteuer ist absolut und es dominiert mein Leben mittlerweile seit 30 Jahren. Für mich ist es heiliger Ernst, inklusive aller Einbrüche ins Dunkle, Ungesagte – und es ist ein Abenteuer, sich an den Randbereichen des Verstehens zu bewegen oder einfach frei mit der Sprache auf- und rumzuspielen, um so an andere Ufer zu geraten. Sprache ist ja nicht nur zum Funktionieren, zum Einbahnstraßen-Mitteilen, zum Vergleichen und Bewerten da – Sprache kann mehr - - kurz: Die deutsche Sprache ermöglicht es mir, dass ich mich von mir selbst überraschen lassen kann. Und damit auch andere überraschen kann. Grimms Wörterbuch ist dabei mein treuer Freund und Begleiter.
Wie würden Sie den Satz beenden? Poesie ist …
… der weltweite und zeitübergreifende Code der Feinsinnigen. Poesie ermöglicht, etwas von dem zu erkennen, was all die Abgestumpften nicht mehr wahrnehmen können. Poesie erschafft Fragen. Poesie schärft die Sinne für unsere Zukunft – und ist daher unverzichtbar.