Interview zu Kindergedichten mit Ruth Bender

Aus: Kieler Nachrichten vom 17.3.2010


Es geht um Walrosse, Krokodile, Meerschweinchen, Hummeln. Sind Tiere in Kindergedichten Pflicht?

Tiere sind natürlich gute Stellvertreter für Menschen. Sie sind die Guten, sie sind niedlich – stehen aber auch woanders als man selber. Tiere lassen sich herrlich in abstruse Situationen verwickeln. Das ergibt oft lustige Reibungsflächen. Und außerdem interessieren sich Kinder ganz besonders für Tiere.

Brauchen Kinder überhaupt eigene Gedichte?

Hm, einerseits ist der Begriff Kindergedichte heikel, vielleicht sollte man Gedichte einfach nur Gedichte nennen. Andererseits glaube ich aber schon, dass man über bestimmte Themen, klare Formen oder lustvolles Sprachspiel die Kinder schneller für Gedichte begeistern kann – und dass man Gedichte, die so gestrickt sind, ruhig auch als Kindergedichte kennzeichnen darf. Und das Gute ist ja, dass Kindergedichte immer auch bei Erwachsenen funktionieren.

Hast Du einen anderen Ansatz, wenn Du ein Kindergedicht schreibst?

Nein, ich schreibe einfach, und dann gucke ich, in welche Schublade der Text passt. Eigentlich wollte ich gar nicht speziell Gedichte für Kinder schreiben. Das erste ist entstanden, als meine Tochter mich fragte, was ich so mache. Da habe ich gesagt: Ich schreibe Gedichte und ihr erklärt: Das ist eine sehr kurze Textform, in der manchmal Reime eine Rolle spielen. Dann schreib mir doch mal ein Gedicht, hat sie darauf gesagt: Über meine Lieblingstiere: Sie haben sehr lange Zähne und leben im Wasser. So entstand zehn walrosse mit superperücken.

Und, was hat sie gesagt?

Sie fand es lustig und hat es gleich auswendig gelernt.

Haben Kinder mehr Sinn fürs Absurde?

Absolut. Die Bereitschaft, sich kreativ auf wildere und freiere Strukturen einzulassen ist bei Kindern viel größer. Auch der Wunsch, nicht immer bloß Funktionieren zu müssen. Ich habe den Eindruck, die Schulen schaffen es kaum, dieses Potential anzubohren. Ich war jetzt viel in Schulen, auch in Problemklassen und habe mich manchmal schon gefragt, ob Gedichte da das Richtige sind. Aber sobald ich das Reimlexikon hochgehalten und gesagt habe: Damit arbeitet jeder deutsche Rapper, hatte ich auch die Bad Boys der Klasse auf meiner Seite. Am Ende wollten sie alle selber Gedichte schreiben.

Eigentlich lieben Kinder ja lange Geschichten, in die man eintauchen kann, vor dem Einschlafen zum Beispiel...

Das stimmt. Man kann sich zwar nicht so lange in Gedichten aufhalten, dafür kann man mit ihnen aber in sehr kurzer Zeit viele kleine Geschichten, Gedanken, Ideen erleben und sich mit jeder Seite, die man umblättert, wieder aufs Neue von ihnen überraschen lassen.

Der Illustrator Karsten Teich hat für die Gedichte sehr schöne Bilder gefunden.

Da bin ich sehr froh drüber. Ich wollte diesen alten Erich-Kästner-Strich (von Illustrator Walter Trier), mit dem schräg Angesägten von heute. Außerdem finde ich, dass die klaren Illustrationen von Karsten Teich gut zu meinen doch eher formstrengen Gedichten passen.

Lyrik ist eine anspruchsvolle Gattung, vor der sich auch viele Erwachsene fürchten. Im Boje-Verlag erscheint mit Deinem Buch schon der siebte Band einer ganzen Buchreihe mit Kinderlyrik. Wie funktioniert das?

Das funktioniert zum einen, weil sich erwachsene Leser nach ihrer Kindheit zurück sehnen und in den Gedichten einen spaßigen Abglanz vom kindlichen Denken finden. Aber auch die Kinder haben Laune an der schnellen Form. Man kann in fünf Minuten fünf Gedichte lesen. Man kann dabei gedanklich eine Menge erleben und sich in unterschiedliche Welten wirbeln lassen. In dem Tempo, das Gedichte entfesseln, steckt eine Riesenchance: Eine Art ideales literarisches Zapping.

Kannst Du Dich noch an dein erstes Gedicht erinnern?

Ja, kann ich. In der Schulzeit habe ich mich noch gar nicht so sehr für Lyrik interessiert. Aber irgendwann, da war ich vielleicht 17, kamen mir diese Zeilen in den Kopf: die neonröhre / ist der geradegebogene / heiligenschein / einer gesellschaft / die mit licht / nichts am hut hat. Ich dachte: Das musst du aufschreiben. Also schrieb ich es auf. Wenn ich eine gute Idee habe, dann gehe ich dahin, wo mich die Idee hintreibt.

Müssen Gedichte für Kinder gereimt sein?

Naja, Gereimtes merkt man sich schneller. In Reimen steckt ja auch noch etwas von alten Zaubersprüchen. Und diesen Zauber muss man hinüberretten in die heutige Zeit. Aber eigentlich glaube ich, ob gereimt oder ungereimt, das ist egal. Das Rabengedicht zum Beispiel ist nur eine geordnete Lautmalerei und findet trotzdem großen Anklang. Ich möchte in meinem Buch zeigen, was mit Sprache alles möglich ist. Dass man Spaß mit Sprache haben kann. Dass Gedichte ein gewisses anarchisches Potential entfalten, dass sie frech und frei sein dürfen und auch der Unsinn, die Provokationen darin ihren Platz haben. Dabei kann ich gar nicht sagen, dass ich selber jedes Gedicht bis ins Letzte verstehe. Das will ich auch gar nicht. Ich möchte mich auch von mir selber überraschen lassen.