10 Fragen der Mittelbadische Presse an Arne Rautenberg zum Hausacher LeseLenz-Preis von 2018
1. Kindergedichte/Gedichte für Kinder: welche Stellenwert in der Literatur und der Rezeption haben sie?
Mein Eindruck ist, sie werden zunehmend vermehrt wahrgenommen. Gerade letzte Woche etwa ist in der berühmten Frankfurter Anthologie das Gedicht „Viele Fragen“ von Paul Maar besprochen worden. Das ist so etwas wie ein Ritterschlag für die Gattung des Kindergedichts. Oder: Ich war neulich auf dem Festival „Poetry on the Road“ in Bremen. Dort trat ganz selbstverständlich neben Cees Noteboom der Schweizer Kinderlyriker Franz Hohler auf. Genau so muss es sein!
2. Was ist überhaupt Kinderliteratur – oder um den Begriff des Preises zu benutzen: Junge Literatur? Ich glaube, man unterschätzt Kinder und Jugendliche wenn man glaubt, man müsse einen bestimmten Ton anschlagen.
Das sehe ich genauso. Bloß keinen betulichen Ton anschlagen. Wer sind wir, dass wir glauben, uns über Kinder erhöhen zu dürfen, nur, weil wir erwachsen sind. Picasso hat mal gesagt, er habe sein ganzes Leben gebraucht, um wieder malen zu lernen, wie ein Kind. Vielleicht kann man noch einen Schritt weiter gehen: lernen wieder so wahrzunehmen, wie ein Kind. Alles wie zum ersten Mal sehen lernen. Das Selbstverständliche wieder schätzen lernen, es feiern.
3. Ich möchte Sie nicht fragen, wie Sie auf die Idee gekommen sind, Kindergedichte zu schreiben – mich interessiert eher, warum Sie dabei geblieben sind.
Kinder sind ein tolles Publikum, ich liebe es, ihnen meine Gedichte vorzulesen und merken, dass Sprache zu mehr taugt, als nur Systeme der Vergleich- und Bewertbarkeit zu bedienen.
4. Was ist eigentlich geschehen, dass Lyrik über die Jahrzehnte zur Marginalie wurde. Selbst verschuldet, weil zu anstrengend, zu verkopft, zu kompliziert? Oder umgekehrt zu emotional? Dabei sollte man doch annehmen, dass in unserer kurzlebigen Zeit gerade die Kurzform angenommen wird.
Ja, ein Hoch auf die kurze Form. Ich finde sie absolut zeitgemäß. Die Lyrik muss raus aus der staubigen Ecke. Wir müssen sie wieder als das wahrnehmen, was sie ist: eine charmante, auch leicht wahnsinnige Verführung zum Nachdenken. Ein Blitzschlag mit offenem Ende, widerspenstig, wehrhaft und schön.
5. Früher wurden Dichter bewundert, war es fast selbstverständlich, dass jeder Prosaschreiber auch Gedichte schrieb – und sie wurden gelesen, vorgelesen, rezitiert. Sind wir heute zu rational ausgerichtet?
Leider ja. Auch die Literatur unterliegt Moden. Vor hundert Jahren wollten alle Dramen schreiben. Heute müssen es Romane sein. Und irgendwann werden auch Gedichte wieder heiß, es knistert schon. Seit den 2000ern treibt die Lyrik im deutschsprachigen Raum phantastische Blüten. Das macht mir Mut.
6. Sind Kinder die besseren Lyrik-Konsumenten? Ich glaube, Kinder mögen den Klang von Wörtern, spüren ihm/ihnen nach und haben ein tolles Gehör für Absurdes.
Ob sie die besseren Lyrik-Konsumenten sind, kann ich nicht sagen. In jedem Fall ist ein Auditorium von Kindern eine sehr unmittelbare Erfahrung für einen Vortragenden. Mir gefällt das und ich bemühe mich um eine lockere Atmosphäre, damit wir alle Spaß haben können.
7. Kann es sein, dass Kinder überhaupt einen schnelleren Zugang zu Gedichten haben, einfach weil sie sich emotionalisieren lassen und ihnen das Spiel mit Sprache, Klang gefällt?
Meiner Erfahrung nach ja. Meine Gedichte funktionieren in den Grundschulklassen wie ein Überraschungsangriff. Ich glaube, der Sprung übers Lachen und Staunen ins Denken hinein ist möglich.
8. Sie selber scheinen die Möglichkeiten, die speziell die deutsche Sprache bietet, aber auch gerne auszukosten… Was bedeutet Ihnen Sprache, wenn diese Frage nicht zu abgedroschen ist?
Für mich ist sie alles. Manchmal lasse ich mich von ihr an die Hand nehmen und dahin treiben, wo sie mich hinhaben will. Sie ist mir das Instrument, mit welchem ich über die Selbstwahrnehmung zu einer Lebensintensivierung finde. Sie macht mich zu einem glücklichen Menschen.
9. Und warum visualisieren Sie Sprache in Ihren Gedichten? Weil Sie es können oder weil Sprache auch nach Form schreit?
Manchmal erfordert ein konzeptueller Umgang mit Sprachideen ganz besondere Formen. Und wenn man dann eine Form erfunden hat, finden sich wie von Zauberhand wieder neue Inhalte dafür. Alles ergibt sich. Und ich lasse das zu, weil ich beim Gedichteschreiben kein festes Programm habe, haben will.
10. Lieblingsdichter?
Die, welche bildkünstlerisch und dichterisch unterwegs sind: Kurt Schwitters, Paul Klee, der Schotte Ian Hamilton Finlay. Auch Tomas Tranströmer und Sylvia Plath beschäftigen mich gerade. Oder bei Kindergedichten mein Wiener Kollege Michael Hammerschmidt, dessen Buch „Schlaraffenbauch“ ich super finde.
Arne Rautenberg - 13. Februar 2025, 02:49
URL: https://arnerautenberg.de/person/interviews/interview_zum_leselenzpreis_fuer_junge_literatur
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