Interview zur Liliencron-Poetikdozentur mit Ruth Bender

Aus: Kieler Nachrichten vom 27.11.2013


Was war Dein erster Gedanke, als Du gehört hast, Du bekommst die Liliencron-Dozentur?

Ich dachte: Wow! Phantastisch!

Was verbindest Du mit dem Kieler Dichter?

In jedem Fall sein über 100 Jahre altes „Kling, kling, bum, bum und tschingdada“ aus dem Gedicht „Die Musik kommt“ – das ist pure Lautmalerei, noch vor den Dadaisten! Außerdem verbinde ich mit Liliencron die Idee, alles für die Dichtkunst hinzugeben, etwas zu riskieren und auch mal abstürzen zu dürfen. Rilke hat Liliencron bewundert. Liliencron bekam mehr Fanpost, als er beantworten konnte. Und natürlich elektrisiert mich die Idee, dass ein literarischer Popstar aus Kiel kommen kann.

„einmal im eis ein bambi lag mit einem weißen pfeil im hals“ - dieser Titel kann einen schwer ins Grübeln bringen – warum hast Du ihn für Deine Poetik-Vorlesung gewählt? Inwiefern gibt er Einblick in Dein lyrisches Selbstverständnis, Deine Arbeitsweise?

Ein so langer Titel zeigt, dass die Dichtung sich besondere Freiheiten herausnehmen darf. Das gefällt mir. Dann transportiert er etwas Märchenhaft-Suggestives, lässt sich von der Sprache mitnehmen, so wie ich mich von der Sprache nur zu gern mitnehmen lasse. Und er ist punky: denk bitte nur mal an den Song „Who killed Bambi“ von den Sex Pistols.

Wie entsteht so eine Zeile?

Ich denke und lese mich in Stimmung. Dann fliegt mir der Anfang in Fetzen meist einfach so zu, der Rest ist harte Arbeit, Scheitern inbegriffen.

Im Gespräch soll dann neben „Dichtung, Kunst, Popkultur und Humor“ auch „das Glück, am Meer zu sein“ verhandelt werden. Kannst Du dieses Glück beschreiben? Und sagen, ob und wie es auf Dein Schreiben, Deine Kunst wirkt?

Absolut. Ich kann ohne den raschen Zugriff aufs Meer nicht leben. Deswegen lebe ich ja auch in Kiel, in Deutschlands größter Stadt am Meer. Wenn ich will, spaziere ich einfach durchs Düsternbrooker Gehölz ans Hindenburgufer und schau auf die Öffnung der Förde, dahin, wo einem nichts mehr den Blick verstellt. Das gibt mir eine Art „metaphysischen Durchblick“.

Hast Du Vorbilder?

Ich mag die universellen Dichter, bei denen der Unterschied zwischen dem Machen von Poesie und dem Machen von Kunst verschwimmt: etwa Kurt Schwitters oder Hans Arp oder Paul Klee oder Ian Hamilton Finlay.

Du unterscheidest zwischen optischen und gelesenen Gedichten, bewegst Dich gern und häufig an der Schnittstelle zur bildenden Kunst. Welcher Moment entscheidet darüber, welche Form Du wählst?

Am Anfang ist die Idee. Manche Ideen lassen sich textlich umsetzen. Andere kann ich als visuelle Poesie umsetzen. Manche der visuellen Poesiegebilde kann ich vom Papier befreien und an Wänden als Ereignis im Raum wirken lassen. Und wieder andere brauchen überhaupt keinen Text: Dann sitze ich mit einem Tacker inmitten von Plastik- und Papiermüll und tackere mir Collagen zusammen oder sammle ganz spezielle Steine am Strand. Ich gehe immer dahin, wo mich meine Ideen hin haben wollen.

Du schreibst viel für Kinder, machst mit ihnen Lyrik-Workshops – was macht Gedichte so kindertauglich?

Ich denke, es ist Vorstellung, dass die Sprache zu mehr taugt, als ein System der Vergleich- und Bewertbarkeit zu bedienen.

Da steckt viel Spiel drin – nicht nur in den Kindergedichten. Musst Du darum ringen oder kommt das von selbst?

Das Spiel hilft mir dabei, formal etwas Neues zu finden oder einen Inhalt zu umkreisen, der mich interessiert und an dem ich mich abarbeiten möchte. Das Spiel hat etwas sehr Kindliches an sich - eigentlich fühle ich mich gar nicht richtig erwachsen. Ich fühle mich immer noch wie ein kleiner Junge, der spielt. Nur mit dem Unterschied, dass ich mir heutzutage das meiste von dem erlauben kann, von dem Kinder nur träumen. Etwa nein zu sagen oder mir einfach ein Auto zu kaufen.

Schreibst Du eher zum Lesen oder Hören? Wie wichtig ist der Klang?

Der Klang ist mir sehr wichtig, ich lese mir meine Gedichte schon beim Schreiben immer wieder laut vor. Die Sprache, der Sound, ist sowas wie der Klebstoff, der einem dabei hilft, etwas Unwahrscheinliches als etwas Wahrscheinliches zu behaupten. Und ich präsentiere meine Gedichte ja schließlich auch auf Lesungen - die Zuhörer sind dann ja mehr oder weniger bloß mit den Ohren da.

Und was liebst Du an der kurzen Form?

Sie macht PENG! Wie ein kleiner Blitzschlag!

Warum soll man überhaupt Lyrik lesen – die ist doch so schnell vorbei?

Mein Rat an alle, die ein bisschen mehr vom Leben wollen, als bloß zu konsumieren: Lest Gedichte! Sie feiern die Freiheit und erweitern das Denken. Das Leben kann einen neuen Dreh bekommen.