arte.tv: Eine Empfehlung von Maria Gazzetti, Literaturhaus Frankfurt


Was für ein Glück, was für eine Pracht! Zwei neue Bände einer Lyrikreihe, die Kinder ernst nimmt und ihnen bietet, was sie verdienen: Sprachspiele und Wortwitz, Reime und Versanarchie, nachdenkliche und unsinnige Bilder. Diesmal: Eine Grand-Dame der Poesie des 20. Jahrhunderts und ein Gegenwartslyriker. Das Ganze in wundervoller Ausstattung abseits pastellfarbener Bärchenästhetik.

Was für ein Glück, wenn Kinderbuchverlage Lyrik „wagen“, besonders wenn das Ergebnis so schön ist wie bei den „Gedichten für neugierige Kinder“ im Boje Verlag. Mit dieser Reihe werden „vergessene“ Kinderlyriker wie Boy Lornsen wiederaufgelegt und finden zeitgenössische Autoren wie Jutta Richter oder Edward van de Vendel ihren Platz im Lyrikregal.

Gerade sind zwei neue Bände erschienen: Mascha Kalékos „Wie’s auf dem Mond zugeht“ und „der wind lässt tausend hütchen fliegen“ von Arne Rautenberg.

Eine Gedichtreihe in Zeiten, wo viel vom Schwund junger Leser die Rede ist, und dies, wo Lyrik schon bei Erwachsenen schwer verkäuflich ist? Kinder brauchen Gedichte und da wo es um Lautmalerei und Dada geht, hat man es vielleicht auch mit der ihnen ureigenen Ausdrucksform zu tun.

Bei Arne Rautenberg findet man dies genauso in der „annäherung an ein gespräch der raben“ wie etwa in „aua zeh ab“. Der Lyriker, Romancier und Künstler, Jahrgang 1967, hat nun eine Reihe bunter Laut- und Buchstabengedichte vorgelegt, wo Wortspielereien und Sprachwitz im Vordergrund stehen. Da finden sich ABC- und Abzählverse, freche, anarchische Gedichte genauso wie solche mit Reim und klaren Formen. Und überall wimmelt es vor Tieren: Vom „muthasen“ über die „riesenrenngiraffe“ bis zum „tränenfisch“ ist jedes vertreten, dem ein „ordentliches“ Gedicht gebührt – auch „trumelchen und mumelchen“ mögen hier noch als zoologische Spezien durchgehen. Sogar beim klassischen Kniereiter verbergen sich Wortspiele. Da heißt es: „hoppe hoppe rei rei rei / wenn er fällt dann ter ter ter / fällt er in den gra gra gra / fressen ihn die ben ben ben / fällt er in den su su su / macht der reiter mpf mpf mpf“. Auch wenn der Spaß und die Lust an Sprache kennzeichnend für die Gedichte Rautenbergs sind, bleiben ernste Themen nicht außen vor - Kinderängste finden ihren Platz in spielerischen Mutmachgedichten.

Dem literarischen Durchbruch von Mascha Kaléko (1907-1975) im Berlin der 1920er und 30er Jahre folgte ein promptes Ende: 1933 erhielt die Jüdin Schreibverbot und emigrierte später in die USA. 1961 erschien Kalékos Kinderlyriksammlung „Der Papagei, die Mamagei – Ein Versbuch für verspielte Kinder sämtlicher Jahrgänge“, die postum in der Edition „Gedichte für neugierige Kinder“ 2008 wiederbelebt wurde. Ein Glücksfall! Wird hier doch von „Insektopathischem“ über das „Krokodilemma“ bis hin zum „Sauregurkenhund“ das gesamte Tiereinmaleins durchexerziert. Die jetzt erschienene Sammlung „Wie’s auf dem Mond zugeht“ enthält die schönste Gebrauchspoesie – von Schlaflied und Tischgedicht über Abzählverse bis hin zu lyrischen Kochrezepten. Dass es bei letzteren weniger um die Zubereitung von Gerichten geht als darum, die Möglichkeiten, Teewasser oder Mütter zum Kochen zu bringen, sorgt natürlich für großes Vergnügen und lässt auch darüber hinwegsehen, dass heute der Kessel auf der Gasflamme eher eine Seltenheit ist.

Der historische Kontext tut der heutigen Lektüre keinen Abbruch. Die wenigen möglichen „Ungereimtheiten“ wird der kindliche Rezipient ignorieren oder der ältere erklären können. Ungereimt bleibt bei Kalékos „Alltags-gedichten“ übrigens kaum eines. Schon in der Weimarer Republik waren es gerade die klaren und einfachen Gedichte der Kaléko, die die Berliner für sie eingenommen haben. Einzigartig sind im vorliegenden Band die fünf heiteren Limericks, bei denen die Autorin nicht versäumt hat, ihren kleinen Lesern oder Zuhörern eine Einleitung zu geben: „– Fünfzeiler sind es zum Lachen. / Wer Witz hat, kann sie selber machen.“

Das grafische Konzept der Reihe ist nicht gerade typisch für einen kinderliterarischen Markt, wo trotz aller Ausnahmen Pastelltöne und niedliche Bärchen dominieren. Bei den „Gedichten für neugierige Kinder“ ist nur eine Farbe als Ergänzung zu Schwarz vorgesehen. Der zeichnerische Schmuck der Bände geht auf unterschiedliche Illustratoren zurück, die den eigenen Ton eines jeden Lyrikers zeichnerisch einfangen. Auch die beiden jüngst erschienenen Gedichtbände wurden jeweils auf das Prächtigste illustriert.

Die „einfachen“ Gedichte von Mascha Kaléko hat bereits zum zweiten Mal Verena Ballhaus durch ihre feinsinnigen, mal mehr, mal weniger abstrakten Zeichnungen aufs Schönste bereichert. Karsten Teichs Illustrationen wiederum sorgen mit den klaren Linien und Formen für einen gelungenen Kontrast zu den ver-spielten und freien Gedichten von Arne Rautenberg.


Schleswig-Holsteinische Landeszeitung


40 kleine Worttänzchen sind entstanden, die Adressaten sind vor allem jüngere Kinder. Die werden von Rautenbergs Reimen ganz bestimmt in den Bann gezogen, denn sie wecken nicht nur die Neugier und den Spaß am Zuhören, sondern auch die Lust am eigenen Gedicht. Und schließlich kann jeder, wie bei des Autors "trost der mäuse", mit großen Tieren klein anfangen: nur elefanten treten allgemein in elefantenscheiße rein.