Als Literat im Norden



Wer in Deutschlands größter Stadt am Meer lebt, Werke ausstößt und die Wahrnehmung seiner Werke in konzentrischen Kreisen sich vergrößern sehen will, der bekommt schneller als anderswo in dieser Republik die Grenzen seiner Lage zu spüren: Im Norden liegt mit Dänemark die Bundesgrenze, im Westen und Osten stößt er bloßmehr an salzige Wasserfronten, lediglich südwärts lässt sich weiter in die Republik hineinwirken - - doch dort thront der Moloch Hamburg, der einen ständig entweder fressen oder ausspucken will. Bleibt dem Schriftsteller für sein vordergründiges Wirken ein nicht allzu großes, flaches, zudem noch zwischen Ost- und Westküste aufgeteiltes Gebiet namens Schleswig-Holstein.

Natürlich gibt es hier eine gewisse Künstlerdichte, sogar einige Schriftsteller und es werden auch Gelder die für die Kultur locker gemacht, allerdings fallen die Kulturausgaben je Einwohner nirgends geringer in Deutschland aus als in Schleswig-Holstein, das ist bitter und das muss man wissen, wenn man hier künstlerisch umherspringt, bzw. strandet. Deswegen zieht es nicht sonderlich viele junge Literaten an Küsten und Binnenland, die Infrastruktur ist einfach nicht so, dass man irgendwo in Schleswig-Holstein ein Weimar des Nordens aufbauen kann, was natürlich wunderbar wäre.

Doch bevor es um die Förderung literarischer Werke geht, sollte das Erschaffen der Werke selbst im Focus stehen, denn den wichtigsten Impuls einer einmaligen Werkerschaffung gibt es nirgends zu lernen; entweder man ist von dem nötigen "Killerinstinkt" durchdrungen oder nicht. Jede Kunst kommt von innen heraus, beginnt zu drücken – und macht die Macher zu Sklaven ihres Sendungsbewusstseins. Das ist das eine, das ein Schriftsteller braucht. Das andere ist ein dickes Fell, mit dem ihm das Kunststück gelingen kann, über ein Meer aus Absagen zu wandeln, so sie denn anfallen. Es muss ihm klar sein: Die Metropole findet im Kopf statt oder nirgends. Seine eigenen Schreib-Credos sollte jeder Schriftsteller selbst rausfinden; ich suchte mir meine damals im Straßenverkehr zusammen (und fahre noch heute gut damit):

1) Beschleunigen geht besser als bremsen.
2) So wenig wie möglich rückwärts fahren
3) Nicht zu nah hinter zu großen Autos herfahren
4) Fährt dein Vordermann geradeaus, biege ab; biegt er ab, fahre geradeaus.
5) Im Notfall einfach rechts ausscheren und überholen.

Hat man den Ernst der Situation für sich erkannt (also die Nötigung des eigenen Sendungsbewusstseins), und ist man nicht per se der Supersiegertyp, dem alles gelingt und dem ein künstlerisches Überleben via Durchmarsch eh gegeben ist, sondern eher eine Kämpfernatur, dann sollte man sich mit den richtigen Ansprechpartnern im Land zwischen den Meeren vertraut machen. Es gibt sie in der Staatskanzlei, im Literaturhaus, in der Stadtverwaltung, in verschiedenen Stiftungen, Vereinen und Institutionen - - Menschen, die bereit sind, qualitativ hochwertige, frische literarische Projekte zu unterstützen. Will sagen: Man darf sich nicht zu schade für den einen oder anderen Bettelgang sein. Daneben aber, und das halte ich für ganz wichtig, sollte man sich in seiner Arbeit so weit wie möglich von den im Lande typischen Abhängigkeiten zu lösen versuchen, in dem man sich von vornherein einem nationalen Wirkungsgrad verschreibt. Denn hier, am Meer, liegt für uns das Allgemeine ausgebreitet, das anderswo als das Besondere gilt. Das muss man sich immer mal wieder bewusst machen. Doch es kann genauso gut funktionieren, sich der regionalen Vereinnahmung in jeder Hinsicht zu verweigern.

Und wenn man etwas hier in Schleswig-Holstein kann, das dies: sich in der (kulturellen) Zurückgezogenheit auf sich selbst besinnen, sich damit seiner selbst bewusst, bewuster werden und daraus auch sein Selbstbewusstsein ziehen.

Wenn man, wie ich, seinen Frieden mit der Situation im Land gemacht und dem ollen Gezauder des Woandersistallesbesser abgeschworen hat, kann man dem Zauber des Nordens komplett erliegen: Licht, Weite, Luft, Meer. In der Nähe des Meeres liegt dieser Zauber verborgen, man riecht ihn förmlich in der salzigen Luft, er ermöglicht eine Ahnung von der (auch in metaphysischer Hinsicht) weiten Landschaft im Kopf; viel Raum also, um die Gedanken schweifen , schwanken, taumeln zu lassen, im Schwunge bewegt zu werden, ohne festes Ziel (= eben so, dass man sich schreibend auch noch von sich selbst überraschen lassen kann!) dahin zu treiben, sich schwingend, mit Schwingen zu bewegen, leicht wie eine Möwe, eine Welle zu sein und immer Ausschau nach etwas zu halten, an dem man sich festhalten kann. Denn irgendwann kommen sie, die neuen Ufer.


selbstportrait als welle

ein kommen und gehn
nicht von vorn
nicht von hinten
verstehn
ein drehen und wenden
verrauschen und enden