Im Namen der Menschlichkeit: Die beste Allstar-Fußballmannschaft der Welt



Rainer Bohnhoff wurde einmal gefragt, wie er verletzte Spieler zu ersetzen gedenke. Er antwortete: "Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger in der Abwehr, Bruce Willis im Mittelfeld und Jean Claude van Damme im Sturm." Als ich diese Antwort las, wurde ich eines mühsamen, schließlich aufgegebenen Unterfangens gewahr: Eine Zeitlang versuchte ich nämlich im Geiste die ultimative Fußballmannschaft des Bösen aufzustellen. Schnell waren passende Namen bei der Hand, eben jene üblichen Verbechernamen, die wegen ihrer menschenverachtenden Taten in den Schwarzbüchern der Geschichte stehen. Schon tüftelte ich über der imaginären Aufstellung (übrigens mit drei Sturmspitzen in einem aggressiven 3-4-3-System), schob diese Namen hier-, jene dorthin und genoss die Freiheit der Kunst, dies tun zu dürfen. Doch aus dem Nichts heraus wuchsen meine Skrupel (in dem Maße, in dem ich mir vergegenwärtigte, mich auf Kosten unzählbarer Opfer zu profilieren). Schließlich gab ich Idee plus schriftlicher Umsetzung auf und vergaß alles Weitere.

Als ich nun, Jahre später, Bohnhoffs Ausspruch las, loderte das schwache Flämmchen des Einfalls erneut zu einer fordernden Brunst auf. Allerdings beschloss ich diesmal, die Aufgabe mit umgedrehten Vorzeichen anzugehen. Was – fragte ich, mich an die ultimative Mannschaft der Unmenschlichkeit erinnernd – wäre eine Mannschaftsaufstellung ohne ebenbürtigen Gegner? Und wie müsse diese gegnerische Mannschaft geschaffen sein? Ganz klar, für das Spiel der Spiele, den Clash of good and bad, muss eine schlagkräftige Mannschaft her, deren Spieler, jeder für sich, exorbitante Lanzenbrecher des Guten sind! Eine treibende, fordernde Ballung von Liebe und Menschlichkeit – ein Kollektiv, welches, durch Teamgeist verknüpft, von einem solchen Sendungsbewusstsein durchdrungen ist, dass der Bann des Hasses auf ewig gebrochen werden kann: um endlich die Welt von einem allseitigen, pro-paradiesischen Mitgefühl durchrucken zu lassen. Kurzum: um der Unmenschlichkeit den Garaus zu machen, muss die ultimative Mannschaft des Guten her!

Wieder obliegt es mir, eine endgültige Aufstellung vorzunehmen. Diesmal hindern mich nicht einmal mehr die eigenen Skrupel vor Pietätlosigkeit. Also: Wagners Götterdämmerung als Stadionmusik angeschmissen, Nietzsche als Stadionsprecher gewonnen, Dionysos und Apollon als Maskottchen den beiden Mannschaften hinters Tor gestellt und schon beginnt der Einlauf der Akteure. Vorhang auf für das herbeiimaginierte All-Star-Team des Guten: im Namen der Menschlichkeit!

Während die Aufstellungen eingeblendet werden und das Spiel dem Spiel überlassen wird, bete ich zu Gott oder wem immer, dass ich für die Schlachtordnung ein gutes Händchen bewiesen habe - - - doch noch einmal zurück vom Stadion und hinein in mein zur Aufstellung führendes Denkprotokoll: Erste Klippe, die es zu umschiffen galt: das System. Um die drei Sturmspitzen der schlimmsten Menschenverächter angemessen in Empfang zu nehmen, musste eine wirksame Strategie her. Die Lösung: Zwei defensiv orientierte Viererketten samt zwei dominierender Mittelfeldspieler.

Zur Besetzung der jeweiligen Posten: Die Auswahl an tragfähigen Gutmenschen (ein Anlass zur Hoffnung) ist so groß, dass Prioritäten gesetzt werden müssen. Schon der Blick auf die Ersatzbank zeigt viel menschliches Potential: Da sitzen in holder Eintracht: Erasmus von Rotterdam, Mutter Theresa, Hermann van Veen (für den Einsatz einer ganz harten Weichspülung), Stan Laurel und Oliver Hardy, sowie Lech Walesa und Michail Gorbatschow.

Möchte man ihre Schlagkraft als die einer zweiten Garnitur werten? Vielleicht. Zumal, wenn man sich vorstellt, als totaler Menschenverächter gegen folgende Erste antreten zu müssen: Ließe sich etwa diese vordere, erst auf den zweiten Blick auch offensiv orientierte Viererkette ohne menschliche Anteilnahme durchbrechen? – In der Mitte getragen vom Dalai Lama und Mahatma Ghandi, dem aktiven Mittelfeld der Gewaltfreiheit? Zudem, wenn sie von links- und rechtsaußen von den laufstarken Flügelspielern und Freiheitsdränglern Robin Hood und Jeanne d´Arc mit erstklassigen Pässen versorgt werden. Obwohl das defensiv orientierte Mittelfeld nur aus zwei Personen besteht, wird hier das eigentliche Spiel gemacht: Der Kern des Mannschaftsgefüges steht unter der Wirkmacht von Nelson Mandela und Martin Luther King.

Zur zweiten Viererkette, dessen Spezialität es ist, den gegnerischen Angriff in die Abseitsfalle zu locken. Für Überraschung sorgen die beiden Außenverteidiger: auf der linken Seite Astrid Lindgren, auf der rechten der heilige Sebastian - - die eine mit gutem Händchen für das richtige Umpolen des Nachwuchses der gegnerischen Seite – der andere, von Pfeilen durchbohrt (und trotzdem lebend!), als Veranschaulichung einer Popularisierung durch plakativ ausgehaltenes Leiden: ein Ausbremser für jedweden unmenschlichen Zug.

Gesetzt den Fall, die Menschenverächter würden auch diese Kette durchbrechen (also die Abseitsfalle aushebeln) und zu den beiden Innenverteidigern vordringen, sähen sie sich vor eine kaum lösbare Aufgabe gestellt: An Jesus Christus (links) und Immanuel Kant (rechts) käme weder ein Glaubender, noch ein Wissender vorbei.

Sollte allerdings die negative Zerstörungsenergie kein Halten kennen (wovon leider auszugehen ist), ist immer noch der Torwart da, das Allerschlimmste zu verhindern: Charlie Chaplin!! – unpassierbar – jedenfalls ohne zu merken, dass alles bloß ein großer Witz ist.


(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 13, Frankfurt am Main 2006.)


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Rautenbergs Allstar-Team der Menschlichkeit im Clash of good and bad:

Jeanne d´ArcMahatma GhandiDalai LamaRobin Hood
Martin Luther KingNelson Mandela
Astrid LindgrenJesus ChristusImmanuel KantHeiliger Sebastian
Charlie Chaplin

Reserve:

Erasmus von Rotterdam
Mutter Theresa
Hermann van Veen
Stan Laurel
Oliver Hardy
Lech Walesa
Michail Gorbatschow