Halt´s Maul und schwimm weiter

Gedichte zwischen Bubble-Gum und Elfenbeintürmchen-öffne-dich


Möglicherweise sind die Begriffe Pop und Poesie nicht die naheliegendsten Gegenpole; dennoch verursacht ihr Zusammentreffen in meinem Denkraum eine gewisse Unbill, die zugleich mein Herz oder das, was ich dafür halte, höher schlagen läßt. Denn das, was die moderne Poesie stets für sich reklamierte, nämlich authentisch-anarchischer Ausdruck zu sein, der mangels Publikumsinteresse nicht geldgeil nach Quoten schielt, sieht sich in dieser Begriffsmelange ins gut eingeströmte Fahrwasser modischer Popkultur geworfen; wodurch nicht zuletzt ein weiterer mauer, lauer Schwall über einen Ausdruck letzter Widerborstigkeit zu schwappen droht, auf daß dieser unter ungreifbarem rosa Bubble Gum untergehe - - oder etwa nicht?

Dabei liegt die Schattenseite des Planet Pop offen und bloß: Pop als Weltweichspüler, der selbst über seinen wirklichen Erzfeind, die Politik, den einen oder anderen Sieg für sich reklamieren kann; etwa wenn das Che-Guevara-Shirt von frühpubertierenden Modejunkies gedankenlos durchs Stadtbild getragen wird oder gnadenloses Feiern als politisches Statement verstanden werden will. Dann ist das gut und gern ein Erfolg globaler Warholisierung. Allerdings ist jene auch einmal, langlang ist´s her, im anglophilen Raum aus einem subversiven Akt heraus entstanden, meint als Reaktion gegen den drögen Mainstream; niemand hätte sich in den 60ern und 70ern vorstellen können, daß die vielköpfige Pop-Schlange, die aus der Not von Werbung und Markt schlichweg eine zelebrierende Tugend machte, den einst empfindsamen Spöttern derart das Maul stopft. Heute sagen kluge Köpfe wieder Ja und Amen zu und in dieser Welt, halb resigniert habend, halb mit Spaß an der Sache, na und?

Das Heilsversprechen der Politik von bürgerlicher Mitwirkung an Weltverbesserung hat schließlich, man sieht es täglich im Fernsehen, als ein korruptes, starres, uniformes, sich durch die Absenz von Lebensfreude manifestierendes Gebilde gründlich verschissen. Allein auch aus dem Heilsversprechen des einst rebellenhaften Pop-Gehabes (Fun Fun Fun) ist heute seinerseits ein universeller Impulsgeber immer schneller rotierenden modischen Mainstreams geworden, der unterm Strich vor allem die befriedigt, die damit Geld verdienen. Gerade die Mode- und Musikbranche lebt vom schnellen Turnus saisonaler Warenerneuerung. Wie steht´s da mit der neueren deutschen Literatur, zumal mit der, auf welcher besagtes Etikett Pop klebt? Genaugenommen nicht anders als mit anderer Saisonware; neu ist allerdings, daß aus dem Nischengebilde der Literatur unter dem Pop-Label ein regel(unge)rechter Trend geworden ist. Ich erinnere nur an die Kollegen Kracht und Stuckradt-Barre, welche, in feines Tuch gehüllt, Körper und Konterfei für eine republikweite Werbekampagne zur Schau stellten. Ein grandioser Coup. Als ich das großformatige Werbeplakat des Herrenausstatters Peek & Cloppenburg erstmalig sah, erinnerte ich mich an einen Besuch Frankfurter Buchmesse, ich glaube es war 1994, wie ich dort die Buchbeilage der Frankfurter Allgemeinen auflas, deren sehnsüchtige Headline über dem Bild des leger sinnierenden Norman Mailer lautete: „Als Dichter noch Popstars waren“. Ja, dachte ich, schön war es, schön wär es. Schon kurz darauf gab es auch in Deutschland literarische Popstars zu bewundern, so stark war das Verlangen danach, welche zu haben. Und mit ihnen boomte das Genre der Prosa zu ungeahnten, heute gemächlich abwelkenden Blüten. Das lyrische Genre kam in diesem Erfolgsschnellzug nur auf dem Trittbrett vor; lediglich auf Poetry-Slams erbarmte sich ein unverbrauchter Rezeptionsmob, bisweilen die Eieruhr auch mal für ein Zugabegedicht nachzustellen, meistens dann, wenn gefallsüchtig gerapt, geknittelt oder gewitzelt wurde. Lyrisch wirklich Herausragendes manifestiert sich an diesem Vermittlungsort dann doch nur seltenst. Denn so einfach läßt sich die Handvoll Taschenspielertricks der Pop-Fraktion nicht für die freieste, also ungehorsamste aller Literaturgattungen übernehmen. Dennoch lohnt es, in diese Trickkiste hineinzulinsen: Nulltens: Ballast abwerfen. Erstens: frisch und jugendlich rüberkommen, vielleicht sogar leicht naiv. Zweitens: überraschen. Drittens: Spaß machen. Viertens: provozieren. Fünftens: unbedingt immer gut dabei aussehen.

Noch etwas kommt hinzu: Pop ist die dicke Kanüle, mitten in den Arm des Lebensflusses gestochen, um ihm allerhand Konserven pulsierenden Zeitgeistes abzuzapfen. Durchaus legitim; separiert man die Ingredienzien der abgezapften Konzentrate, so erhält man allerlei Namenströpfeleien, meint Namedroppings sowohl lässiger wie unlässiger Mitmenschen und Markenartikel, reichlich Anglizismen, Songtextzitate, dazu mehr oder minder vulgäre Bestandteile aktueller Gossen- oder Clubkultur, Ich-König-Frotzeleien, reichlich Outlaw-Habitus, Rauschimpressionen, Slangeinsprengsel, Abgefucktheiten - - eben jene oberflächlichen Geschmacksverstärker mit niedriger Halbwertszeit, die, injiziert man sie in einen poetischen Körper zurück, diesen nur zu gern als smart und cool, als unanfechtbar über den Dingen schwebend erscheinen lassen. Verbunden mit souveränem Gebrauch weiterer poetischer Stilmittel, etwa dem Suchenden in einem Text mittels Rhythmus, Reim, Anaphern, Alliterationen, Assonanzen oder schlichtweg ein spezielles Formenrepertoire stabilisierende Momente entgegenzusetzen, kann die Cooltext-Rechnung aufgehen. Kommen dann noch exellente Beobachtungen und Reflexionen hinzu, und wird das lyrische Konglomerat in unverbrauchte Metaphern, Themen und Konzepte verpackt, kann sie sogar noch sonniger aufgehen. Auch eine gewisse Aura von schickem In-Group-Gehabe, von Mythomanentum und Geheimnis sind dem lyrischen Wohlergehen zuträglich. Kurz: wie man die Frage nach der Versuchsanordnung eines guten (Pop)Gedichts auch dreht und wendet, die Antwort will sich nicht aus dem Reich der Metaphysik ins Profane herablocken lassen (merkwürdigerweise ist, selbst wenn sich das Profane eigenmächtig dem Reich der Metaphysik anzunähern glaubt, keine Verringerung der Reichweite zu erwarten).

Zurück zum Coolheitsfaktor von Gedichten. Wirklich zu wünschen wäre nun eine sowohl originäre, wie sexy-populäre Stimme, welche es jetzt und hier im großen Stil zustande bringt, sich mittels zeitgemäßer Meldung übers Zeitgemäße zu erheben. Leider steht solcher Gesang derzeit aus, schon im Anlauf zum Höhenflug droht tendenzielles Scheitern, denn entweder erfolgt eine unzeitgemäße Meldung übers Zeitgemäße, oder eine zeitgemäße Meldung übers Unzeitgemäße. Vielleicht beißt sich mir auch nur just die Schlange lyrischer Metaebene in den Schwanz. Obwohl: In der postmodernen Musik- und Kunstwelt ist es ganzen Oevres gelungen, sich ad hoc zu metaebnen und mit Haut und Haar in den Dienst ironischer Selbsterhebung zu stellen: Ich sage Frank Zappa: („There´s a bomb to blow your mommy up“) Ich sage Martin Kippenberger („Ich hab kein Alibi/ höchstens mal ein Bier,/ hör auf zu mosern,/ so gehts nicht nur Dir.“). Ich sage Jeff Koons (“There was love there. That´s why it wasn´t pornografic.”). Schließlich sage ich sogar: Andy Warhol („Everything is beautiful. Pop is everything.“) - und ich sage: siehe oben. Für die Lyrik, zumal die der Nuller-Jahre steht dieser Absprung noch aus. Die Postartmann-, Postjandl-, meinetwegen auch Postgernhardt-Ära fordert neue Salti; die köstlichen Wortsuadisten Franzobel, Ulf Stolterfoht und Oswald Egger stehen bereit und ich wünsche ihnen ein allzeit formidables Sprunggelenk. Aber unter Pop = massenkompartiblen Gesichtspunkten wird da noch eine ganz andere Lyrik kommen müssen, eine stromlinienförmige, welche möbiusschleifern-aureolenhaft über der deutschen Lyriklandschaft strahlt („Mutti? – wie weit ist´s noch bis Amerika?“ „Halt´s Maul und schwimm weiter.“). Man darf gespannt und nicht allzu vergrätzt sein, wenn eine wollüstige Sättigung ausbleibt. Summarum: Nichts gegen wohl kandierte und polierte Pop-Lackschichten auch in der Lyrik. Nur dünn genug müssen sie sein, daß der, der in Begriff ist, sie zu betreten, nicht umhin kann, ins Dunkle und Chaotische einzubrechen. Wichtig scheint mir weiter der Aspekt des Elfenbeintürmchen-öffne-dich, nämlich, daß der Spaßfaktor von Pop & Poesie über Slams oder andere unkonventionelle Vermittlung sich zumindest dazu eignet, ein Publikum einzunehmen, das wieder neu fürs Gedicht gewonnen werden will.

Die Poesie macht sich auf, dem Universellen in allem nachzuspüren und sie tut gut daran, sich nicht selbst mit Dogmen zu stutzen. Wenn es nach mir ginge, sollten Gedichte ohnehin alle U´s und E´s, highs and lows, Schwärzen und Weißen, Yins und Yangs zugunsten eines nervösen grisaillen Fluidums dreingeben. Aus diesem sollten sie dann das wahre Heilsversprechen der Poesie ziehen: Abhauch von einem All und Alles zu sein, nur bittebitte: niemals langweilig.


(In: Das Gedicht - Pop und Poesie, Anton G. Leitner Verlag, Weßling bei München 2004.)