Wenzel Hablik: „Was ist das Glück?“
Gedicht von W. A. Hablik
zum Vorlesen am Altjahresabend
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. so is dat !
Ausgerechnet die Frage nach dem Glück steht hier, beim 1881 im tschechischen Böhmen geborenen Multikünstler und Visionär Wenzel Hablik, so im Offenen. „Zum Vorlesen“, wie der Untertitel gemahnt, ist dieses Gelegenheitsgedicht sicher nicht geeignet – und dass Hablik seinen Text darin selbst offensiv als „Gedicht“ bezeichnet, zeigt, wie „ungedichtlich“ es sich eigentlich für ihn ausgenommen haben muss. Der Gedichttext selbst ist ein kleines Meer aus Fragezeichen, Punktabfolgen, Ausrufezeichen, Auslassungen, Aus- und Einrückungen; nichts erscheint hier regelkonform, im Gegenteil, es ist, als ob Hablik alles dafür getan hat, Regelmäßigkeiten zu vermeiden.
Dass der Titel in Anführungszeichen gesetzt ist, weist ihn als wörtliche Rede aus – passend zur Aufforderung des Vorlesens im Untertitel. Doch sinnigerweise kann man das Gedicht, dessen Titel einem ein Glücksversprechen verheißt (welches man nur zu begierig aufzunehmen bereit ist!) nicht in Worte fassen.
Die Zeichen dienen als Stellvertreter. Allein zum Schluss, in der aberwitzigen letzten Zeile, kommt nach einem Punkt, der normalerweise das Ende markiert, eine ewig scheinende Auslassung – auf welche der flotte und nun auch vorlesbare Befund folgt: „so is dat!“ Viel norddeutscher Habitus steckt in diesem Seufzer-Auspruch. Werden hier etwa Schicksalsergebenheit, Mund- (und vielleicht auch Denk)faulheit der Norddeutschen aufs Korn genommen?
Wenzel Hablik hatte, einem Mäzen geschuldet, seinen Lebensmittelpunkt seit 1907 im provinziellen Itzehoe nahe Hamburg und er verstand es, seine unmittelbare Umgebung in jeder Hinsicht zu gestalten. Zeugnis davon legt sein bunt ausgemaltes Zuhause ab, das noch heute existiert. Selbst vor dem Verfassen eines Gedichtes machte er, der die Eigenarten der norddeutschen Sprache mit Freude aufnahm, nicht halt. Überhaupt war Hablik stets für einen Spaß mit der deutschen Sprache zu haben („Altjahresabend“).
Ich entdeckte den bisher völlig unbekannten Text zufällig bei einer Bekannten, der Großnichte des Mäzens von Hablik. Er geriet mir sozusagen beim Blättern in ihrer Privatsammlung zwischen Grußkarten, Drucken, Skizzen und teils klamaukigem Strichwerk in die Finger. Freundlicherweise durfte ich ihn abfotografieren und transskribieren. Besonders elektrisiert mich die Entstehungszeit: 1927 – so steht es neben dem Gedicht; irgendwo zwischen Morgensterns „Fisches Nachtgesang“ von 1905 und der Erfindung der konkreten Poesie Mitte der 50er Jahre setzt sich der Visionär Hablik die Spaßvogelmaske auf, um aus einer Vorfeierlaune heraus eine private Gabe an seine Freunde und Vertrauten zu formulieren. Damit nimmt er sprachliche Experimente vorweg, die erst später wieder eine Rolle spielen werden.
Doch Wenzel Hablik ist nicht für seine Verse berühmt, sondern für seine utopische, das Wohnen und Leben betreffende Kunst, wie unlängst die große Retrospektivausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau zeigte. Allerdings kann sich Hablik auch im kleinen, persönlichen Schriftwerk auf seinen schöpferischen Funkenschlag verlassen. Betrachtet man das Gedicht nüchtern, so zeigt sich: Die Auslassungspunkte fordern eine Vervollständigung von uns Leserinnen und Lesern ein, welche am Anfang, in der Mitte und am Ende in Fragen münden. Deutlich wird auch, dass es Fragen gibt, die so dringlich sind, dass sie mit drei aufeinander folgenden kursiven Ausrufezeichen inszeniert werden. Besinnlichkeit (in Form von drei Gedankenstrichen) kommt zwar im oberen Drittel vor, doch im Ganzen etwas kurz.
Das Gedicht lässt sich als eine Abfolge aus Erfüllungsgedanken und Hinterfragen lesen, als eine immer wieder aus dem Ruder laufende, unerwartete Reaktion aufs Vorherige. Mühelos lässt sich eine Metapher fürs Leben daraus stricken: Die Sturm und Drang-Phase des Anfangs ebbt im Laufe des Gedichts etwas ab. Es folgt eine Phase genügsamer „Vollzugspunkte“, darauf gibt es eine kleine Erregung zur Midlife-Crisis, anschließend wieder eine leicht versetzte, zurückhaltende Phase und zum Ende hin gibt es eine letzte Aufwallung samt einem lapidaren Kommentar. Ausrufezeichen. Ende. Aus.
Wenzel Hablik muss 1927 ganz zufrieden mit seinem Leben gewesen sein, denn viel gehadert wird unterm Strich in seinem „Was ist das Glück?“-Gedicht nicht. Die Besonderheit dieses Gedichts sind seine Auslassungen, welche uns mit unseren Lebenserfahrungen zum kreativen Lesen auffordern. Damit ist Habliks Gedicht exemplarisch für das Wesen der Poesie: Wer sich mit ausreichend Verve in ein Gedicht hineindenkt, der kriegt vom Gedicht vielleicht etwas mehr zurück, als er ahnt – mag das Glücksversprechen auch lauten: Alles halb so wild, bleib nur schön locker und füge dich in dein Schicksal.
In: FAZ vom 17.03.2018