André Wagner - Hot Wish
Im Abenteuer unsicherer Lichtverhältnisse
- Zu den Twilight-Fotoarbeiten von André Wagner -Das englische Wort Twilight übersetzt man im Deutschen bedeutungsgleich und bildungsverwandt mit dem Wort Zwielicht. Dem erst im späten 18. Jahrhundert in den deutschen Wortschatz gewanderten Begriff liegt sowohl das Doppelnde, wie auch das Halbierende zugrunde: das Doppelte insofern, dass es neben dem einen, bekannten Licht nun ein weiteres, anderes gibt, das bezeichnet zu werden lohnt; das Halbierte, weil dieses neu empfundene Licht bloß ein schwaches, geteiltes Licht ist. Nicht zuletzt der Dichter und Übersetzer Johann Heinrich Voss brachte das Wort Zwielicht in die hochdeutsche Literatursprache ein, wo es sich rasch verbreitete, begünstigt durch die Naturgefühle im Zeichen der Empfindsamkeit. Stimmungswerte in den Naturvorgängen ließen sich so besser bezeichnen. Das Zwei-Licht lässt einen zwei-feln: der Erhellungsprozess, der normalerweise mit der Ausleuchtung aller Dinge und Gestalten einher geht, erscheint nun im Zwielicht auf den ersten Blick eingeschränkt: zwar sieht man etwas, doch man sieht auch etwas nicht – auf den zweiten Blick ist der besagte Erhellungsprozess jedoch keinesfalls eingeschränkt, er findet nur auf einer anderen Ebene statt, der metaphysischen eben. Es ist also nur ein kleiner Schritt zur bildlichen Dimension des Wortes Zwielicht: Dem „schillernden Wechselspiel der Farben zwischen hell und dunkel“ (Goethe), steht eine im seelischen Erleben empfindbare Unbestimmtheit, Unklarheit, zwischen „heller Freude und dunkler Trauer“ (Jean Paul) gegenüber. Die Verschmelzung von Licht und Dunkelheit schafft Uneindeutigkeiten, die irgendwo zwischen Aufbruch und Abschied einen poetischen Raum eröffnen. Genau aus diesem Nebel von Erkennen, Erinnerungen und Wunschvorstellungen erwächst die Chance auf einen schöpferischen Neubeginn.
Nicht anders ist es bei den Fotografien von André Wagner. Er hat sich dem Abenteuer der unsicheren Lichtverhältnisse verschrieben. Irgendetwas stimmt in seinen Fotos mit dem Licht nicht. Mal sind es die von ihm vorgenommenen Lichtmanipulationen, die einen zweifeln lassen, die den Tag zur Nacht machen, das Kunstlicht zur Sonne und die Sonne zum Mond; wenn etwa ein Baum im Sonnenlicht zusätzlich so stark mit künstlichem Licht belegt wird, dass er auf seinem fotografischen Abbild grell ausgeleuchtet erscheint und alles andere um ihn herum düster in den Bildhintergrund treten lässt. Und aus Tag werde Nacht.
Der Schlagabtausch zwischen natürlichem Licht und Kunstlicht in den Fotografien von André Wagner passt zum dualistischen „Sowohl-als-auch“ des Zwielichts, dem romantischen Mega-Bild, in dem sich Sehnsüchte und Abgründe treffen. Der Romantiker empfand sich als eine gebrochene und zerrissene Persönlichkeit; die Erhöhung der Natur mit Mitteln der Künstlichkeit ist auch so ein zerrissenes Statement. Zwar sind die Fotoarbeiten André Wagners einerseits zwar lichttechnisch bei der Aufnahme manipuliert, doch andererseits wieder komplett analog produziert. Zwar feiern sie die Natur in einem Akt der Erhöhung, doch problematisieren sie sie gleichzeitig als ein von Menschen entstelltes, gefährdetes Terrain. Obwohl ästhetisch ansprechend, ja harmonisch inszeniert; wäre man in eines dieser Bilder geworfen – man würde sich verloren fühlen. Oder, genauso sinnbildlich in seiner Serie Standby: Wenn in geschlossenen Räumen bloß mehr das Licht der Monitore Erhellung bringt, wenn dieses Licht in künstlich geschaffenen Räumen mit einer Selbstverständlichkeit scheint, als wäre es das Tageslicht, das wahre, natürliche Licht, ein Ausweg aus der Höhle - - dann darf man sich fragen: ist das Internet das tatsächlich? Oder verbannt es uns Menschen nicht letztlich in unsere Behausungen, unsere modernen Höhlen?
Es gibt in der Umgangssprache eine zunehmende weitere Bedeutung des Begriffs Zwielicht im Sinne von einem Doppellicht, also einem zweifachen, gemischten Licht, nämlich wenn sich das Tageslicht mit einer künstlichen Lichtquelle vermengt. Normalerweise ist diese Lichtvermengung für die Augen ein angreifender und schädlicher Akt. Auf einer Fotografie hingegen ist alle Augenpein aufgehoben. Hier kann man diesen Zustand einmal ganz genau studieren: Das Licht, das Medium, in dem und durch das alle Phänomene erscheinen, hat sich ent-zweit; in ihm kann sich nichts mehr erklären, als das, was es tatsächlich ist. Noch sind die Dinge nicht in das allumfassende Dunkel der Nacht eingetreten, aber sie stehen auch nicht mehr, ihre Kontur zusammenhaltend, im Tage. Sie sind ihre eigenen Doppelgänger – sie sind sie selbst und immer auch etwas anderes: der poetische Sehnsuchtsraum ist geöffnet.