i_Texte_zur_Kunst_Elsbeth_Arlt
Elsbeth Arlt - Duden?

Zu den Arbeiten von Elsbeth Arlt

- Rede in der Umtrieb-Galerie am 03.12.2010 -


1993 betrete ich, 26, seit 11 Jahren malend, seit 3 Jahren schreibend, die Galerie von André Sfeir-Semler in der Dänischen Straße in Kiel. Zu sehen ist in den exquisiten Räumen (das habe ich erst verstanden, als es diese Galerie nicht mehr gab (weil sich in Kiel eben mit Kunst keine Geschäfte machen lassen)) so ziemlich alles, was der nationale und internationale Kunstmarkt zu bieten hat: Baselitz, Richard Prince, der Cobra-Künstler und Dichter Lucebert, Ian Hamilton Finlay und und und.

Diesmal hängen Arbeiten von Elsbeth Arlt an den Wänden. Titel der Ausstellung: „Malgründe“. Große Leinwände, akkurat bemalt mit breit verflochtenen, monochromen Farbstreifen, die eine Gewebebindung darstellen. Grob Verwobenes auf grob Verwobenem – und dennoch wirken die Bilder fein und filigran. Ich wusste damals nicht genau, was ich von meiner Kunst wollte – aber ich verstand, dass diese schlichten, eleganten, kühlen, irgendwie schon museal anmutenden Arbeiten von Elsbeth Arlt bereits da waren, wo ich hinwollte. Nicht umsonst ist eines dieser Bilder in der Sammlung der Kieler Kunsthalle gelandet.

10 Jahre später. Ich fasste mir ein Herz und schrieb einen Fan-Brief an Elsbeth Arlt. Sie erschien dann auf dem Sommerfest im Literaturhaus und lauschte meinen Übersetzungen von zeitgenössischer schottischer Lyrik. Seither entspann sich eine bis heute andauernde Korrespondenz und Interaktion, wir zeigen uns unsere Arbeiten und Ausstellungen, treten manchmal gemeinsam auf, wie etwa 2004 in Elsbeth Arlts Ausstellung „Jeder Tag ist anders“ am Museumsberg Flensburg – hier ging es uns in einer Sonderveranstaltung um den Dichter Rolf Dieter Brinkmann – oder 2007 in der Ausstellung „Guten Morgen, lieber Theodor“ in der Storm-Gesellschaft in Husum, wo wir aus dem Briefwechsel zwischen dem hausväterlich-fordernden Theodor Storm und der jungen, bisweilen geschickt die Forderungen abwehrenden Constanze Esmarck lasen – was nicht ohne Tragik, aber auch nicht ohne Komik abging; zudem gehe ich wöchentlich unter dem glimmenden, von Elsbeth Arlt sehr gut überlegten Schriftzug MANCHE LEUCHTEN WENN MAN SIE LIEST hindurch, wenn ich mich, um Ruhe zu haben, in die Universitätsbibliothek Kiel bewege (wo dieser Schriftzug groß und leuchtend an der Fassade angebracht ist).

Manchmal sitze ich in ihrem geräumigen und sehr aufgeräumten Atelier im Nordergraben und denke darüber nach, was ihre Arbeit in mir auslöst.

Drei Besonderheiten begegnen mir, wenn ich ihre Gepflogenheiten im Kunstbetrieb beobachte: In Jahrzehnten erworbene Professionalität, sensibler Humor und höchste Akkuratesse in der Ausführung.

Elsbeth Arlts Künstlerinnenschicksal in einer doch eher kunstfeindlichen Region ist mir zudem Anschauung, Rat und Korrektiv, denn auch Klartext gehört zum Umgang mit Elsbeth Arlt. Eine Charaktereigenschaft, die ich besonders schätze, wenn sie mir von jemandem entgegen gebracht wird, dessen Wirken mir einen tatsächlichen Respekt abnötig:

Denn wie anders als Elsbeth Arlt bin ich in meiner eigenen Arbeit: rasch den Ideen folgend, flüchtig, schnell, gern unüberlegt und nicht selten (ob gewollt oder ungewollt) populistisch.

Dennoch gibt es auch einige Schnittmengen und Gemeinsamkeiten zwischen unseren Ansatzpunkten: Wir teilen ein poetisches Erfassungsvermögen, dass einen besonderen Blick voraussetzt, ein feines Sensorium und Instrumentarium, das sezierend an der Sprache, ja auch an der Oberfläche der Sprache ansetzt. Beide sind wir sensibilisiert für die Jagd auf Worte, Sätze, das Heben des Schatzes einer ungesehenen, verborgenen uns irgendwie berührenden Botschaft. Und beide kommen wir der Vision nach, die Schrift vom Papier zu befreien, um sie emanzipiert im Raum wirken zu lassen.

Deutlich wird eben Gesagtes in dieser Ausstellung mit dem sinnfälligen Titel „Schriftbilder“. Die Lintas-Werbekampagne „Schreib mal wieder“ von 1982 wurde (genau wie ihr anderer Slogan „Ruf doch mal an“) zum geflügelten Wort, zum Poststempel, der die Einladungskarte ziert. „Schreib mal wieder“ als Stempel – das ist an sich schon paradox – und Elsbeth Arlt führt die Paradoxie nur weiter, in dem sie den Stempel in eine des Zoomens mächtige Malerei überträgt. Hier zeigt sich ein grundlegender Wesenszug der versammelten Schriftbilder: Gedruckte oder handgeschriebene Schriften, Kärtchen, Buchobjekte erfahren allein durch ihre Auswahl zum Bildgegenstand eine ungewohnte Aufmerksamkeit und - da sie zudem noch in Malerei übersetzt = veredelt sind – auch eine Aufwertung.

Was also, fragt man sich als Betrachter, rechtfertigt das? Fragmente, Zitate, Notizen, Provisorien, flüchtige Aufzeichnungen, Markierungen, Überlagerungen, Ausgeschnittenes, Gekritzeltes, Durchgeschrichenes und Überschriebenes, Zitiertes und Assoziiertes - - zwischen der Notiz „Wieder da“ und der zitierten Coverästhetik des gesellschaftskritisch theoretisierenden Merve-Verlags, zwischen dem handgeschriebenen Schriftzug „Bratwurst 1.30 €“ und der „Das vierdimensionale Raum – Zeit-Kontinuum“ illustrierenden Anschauungsgrafik ist in diesen Bildern alles möglich.

Ohne Bild kein Text und ohne Text kein Bild - - wie fließend die Grenzen sind: Das Buch selbst ist gar als gemaltes Objekt zu erfahren: Die grünen Cover der englischen Pingiun-Books-Serie erscheinen nicht mehr als Buch nutzbar, nicht mehr ins Regal stellbar und schon gar nicht, wie es bei Büchern normalerweise der Fall sein sollte, blätterbar - - und dennoch sind sie lesbar, sind zu einem überdimensionalen, Buchaura ausströmenden Bildobjekt geworden, dass genau wie ein Buch seinen Schatten auf die Wand zu werfen versteht, wenn das Licht entsprechend schräg darauf fällt.

Drei Herren staunen um einen gigantischen, auf dem Boden liegenden Duden herum. Was ist hier das Rätsel? Das gewaltig dargestellte Objekt an sich? Oder dessen Inhalt, der in Jahrtausenden angewachsene Sprachschatz, mit dem sich die komplexesten Gedankengänge in einer Schärfe nachwinden lassen, die in der Lage ist, alles, was einem heilig ist, zerschneiden zu können - - und (diplomatisch formuliert), ggf. auch wieder zusammenzuleimen.

Elsbeth Arlts Bilder spielen mit uns Betrachterinnen und Betrachtern. Etwa das Bild mit den 3 hingeschriebenden Buchstaben M O R - - MOR – über die das schon erwähnte Zitat „Manche leuchten, wenn man sie liest“ geschrieben steht. MOR? Nur das M von Mor ist groß geschrieben, es folgt ein kleines o und beim kleinen r verlässt die Schrift das Bild – - fordert Betrachterinnen und Betrachter also auf, das Wort imaginär fortzuschreiben: Morgen, Moral, Moratorium, Morelle, Moritat oder Morphium… je nach Verfassung beim Bildbetrachten kann man sich auf etwas anderes ein– und das dann im Kontext des benannten Zitats leuchten lassen.

Manche Handschrift wurde so wunderschön bis zur siebenachtel Unleserlichkeit dichtgemalt, dass die lustvolle Decodierung, sähe man das Bild vor sich hängen, fast wie eine Lebensaufgabe anmutet.

Gemeinsam ist allen Bildern ein Bezug zur Schrift, zur Schrift, wie wir sie als ästhetisches Ereignis übersehen - - warum? weil es uns reicht, die der Schrift innewohnende Information zu entnehmen - - dabei steckt in jeder Schrift, egal ob Handschrift oder Type, immer auch ein ästhetisches Statement, dass sich sofort in Bezug zur transportierten Information bringen lässt und damit ein lustvolles Wechselspiel ermöglicht, wie wir es von der Betrachtung der Kunst seit jeher kennen: Stimmen Inhalt und Form überein – und wenn nein, warum nicht? Was ist wichtig? Was flüchtig? Und was macht die Ausschnitthaftigkeit mit den Bildern? - - Sie bettet sie in einen größeren Zusammenhang = weißt also darauf hin, dass all diese Informationen jenseits des Bildes, jetzt, hier, in unserer Welt und Gegenwart weitergehen / uns weiter überfluten.

Die Hierarchie der Schrift und ihrer Kontexte, in den Arbeiten von Elsbeth Arlt wird sie aufgehoben. Nichts scheint als Bildgegenstand unwichtig genug, nicht erscheinen zu dürfen. Auch das ist ein Signum der Kunst von Elsbeth Arlt, dass sie sich gegen Hierarchien sperrt, sie aushebelt (s. Briefwechsel Strom vs Constanze / Schilder im öffentlichen Raum Husum).

Schon lange arbeitet Elsbeth Arlt damit, ihre eigene Handschrift wortwörtlich in Malerei zu übersetzen, wodurch die Handschrift einerseits eine künstlerische Kraft zugestanden bekommt, die andererseits wieder rückübersetzbar wird in den Impuls einer handschriftlichen Skizze; diese Wechselwirkung macht den Charme dieser Arbeiten aus. Seht her, sagen sie: Am Anfang war alles Wort, rasch notierte Idee…

Wie die Handschrift zum Bild gerinnt, gerinnt die Schrift aus dem Buch zum Ereignis im Raum. Der hellblaue Schriftzug „Ich weiß nicht, ob ich euch meine Träume erzählen soll“ (Ein Zitat des Romananfangs „Der Gefühlsmensch“ von Javier Marias) – eröffnet sofort, so kühl, weit und wolkig er auch an der Wand stehen mag, eine unerhörte Intimität: So wird hier im Galerieraum, wo man sich zwischen ästhetischen Zeugnissen bewegt (und natürlich von anderen Galeriebesuchern selbst auch als eines beäugt wird), sofort ein Assoziationsstrom aus dem Innersten angerührt.

Was macht mich wirklich aus? Und was macht euch, meine soziale Umwelt, wirklich aus? Und wie kommen wir zusammen? An diesem Kunstort heute sind wir als ein paar Schneeflocken von Milliarden Schneeflocken zusammen gekommen und dafür bin ich dankbar. Erzählen wir uns ruhig einmal unsere Träume.

Kiel im Schnee, am 03.12.2010