Scherenschnitt - Jimok Choi
Ein Pinselstrich zuviel ist kein Pinselstrich zuviel
Der Marienkäfer
Auf der Hibiskusblüte
Im Aschenbecher.
Auf der Hibiskusblüte
Im Aschenbecher.
Es ist wie mit dem berühmten Pinselstrich zuviel: Plötzlich, mit einer jähen Gewalt, kippt das Bild, entpuppt sich die Bildrealität als entfremdet – und man versteht, dass das eigene Schaffen nur mehr ein Teil von jenem schwer verständlichen Chaos ist, das man doch eigentlich mit seinem Schaffen etwas zu lichten suchte. Die Arbeiten von Chimok Choi sind wie ein Tanz um diesen Pinselstrich. Einerseits sind sie vom Wunsch getragen, Teil von etwas Natürlichem zu sein. Sich nach asiatischer Tradition zurück zu nehmen und mit der Umgebung zu verschmelzen. Andererseits versucht er, genau das Gegenteil davon hervor zu rufen: nämlich sich selbst zum Maßstab zu nehmen, also kraftvoll ICH zu sagen, möglichst viele Brücken hinter sich abzubrechen und losgelöst von östlichen oder westlichen Kunstdiskursen spontan und originell zu sein. Das bedeutet, Dinge geschehen lassen zu können, Schnapsideen Folge zu leisten, beim Akt des Malens die Idee zu genießen, ständig neue Entscheidungen treffen zu dürfen.
Chimok Chois farbgewaltige Bilder sind abgekoppelt vom Gegenwartsdiskurs in der Malerei. Sie sind weder als Trashmalerei inszeniert, keine (pseudo)freche Besudelung der Leinwand, hier wird die Farbe auch nicht durch ein starres Konzept getragen, sondern es wird an die Strategien der Moderne angeknüpft, nämlich an die Idee, den Bruch der Welt für sich noch einmal zu entdecken, zu erweitern, die Farbe unter den Händen explodieren zu sehen, die Formen aus dem Zufall beim Malen herauszulesen, etwas zu geben an Gefühl, persönlicher Geschichte, auch an Schönheit – etwas, dass seinen asiatischen Einschlag nicht verleugnen will, sondern im Gegenteil, dazu gibt, etwas, dass uns in seiner prozesshaft anmutenden Naivität und Ehrlichkeit in den Bann zu ziehen versteht. Hier gibt es keine Ironie. Der Kampf zwischen asiatischer Zurückgenommenheit und egozentrischem Originalitätsanspruch zeigt sich auch in Chois Performances: Mit der Schere werden einem Ahornblatt am Baum die Blattkanten begradigt. Topfblumen aus dem Blumenladen werden im Wald ausgesetzt und Waldpflanzen entsprechend auf dem Wochenmarkt verkauft („Nullsummenspiel“). Die Erinnerung an einen Kaffee an einem heißen Tag samt wohltuendem Einsetzen des koreanischen Sprühregens animiert Choi zum Aufbau einer aberwitzig improvisierten Erlebniskonstruktion, in welcher er rund um den auf einem Klappstuhl sitzenden Kunstbetrachter ein wohltuendes olfaktorisches Feuerwerk abbrennt („Somewhere over the Rainbow“). Der spontane Entschluss, die nach einer Vernissage zerbrochen zurück gebliebenen Gläser am nächsten Tag mit frischem Hackfleisch zu füllen und falsch herum auf den Boden – und damit auszustellen („Gespräch unter sechs Augen“) – ist ebenso ein Statement zum Kunstbetrieb wie Chois bildhauerische Performance-Arbeit an einem Marmorblock, der solange behauen wird, bis ein daumengroßer, mit Dreck möglichst unscheinbar gestalteter Stein auf den Kiesweg zur Kunsthalle auf eine nicht wieder zu findende Art verloren geht („Naturbetrachtung“).
Chimok Choi ist vom fernen Osten in den nahen Westen gekommen, um sich uns zu zeigen: Als ein großer Asiate mit langen Haaren, der eine warme, helle Aura ausdampft – ein Suchender, der seine Zerrissenheit mit viel Sinnlichkeit in den Kunstbetrieb hinein zelebriert.