i_Texte_zur_Kunst_Johanna_Ludwig
Ohne Titel, 2017

Frucht- und Verwertbarkeit

- Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung „Ich habe einen Plan, der vielleicht funktioniert“ von Johanna Ludwig im Bunker D, Januar 2017 -

Meine Damen, meine Herren,

wir haben uns hier versammelt, um den visionären Werken der Grafikerin Johanna Ludwig Tribut zu zollen. Sie zeigt eine Auswahl von Arbeiten aus den letzten Jahren: Die Beistiftzeichnungen: „Sie kommen“, die Tuschezeichnungen der Reihe „Eine Feier des unbeschädigten Lebens“, Zeichnungen zu dem Siebdruck-Künstlerheft „alles gelingt“, zudem weitere Künstlerbücher, die seit dem Jahr 1999 entstanden sind und, für mich im Zentrum stehend, ihre neueste Serie von Linolschnitten.

Wir kennen das alle: Im Fegefeuer von Struktur und Chaos werden täglich neuen Kämpfe gefochten. Wenn uns der Alltag überrollt und etwas liegen bleibt, wenn die Haufen in den Ecken der Zimmer anwachsen, nach dem Abwaschen eine Stunde lang gekocht wird und zehn Minuten später alles wieder dreckig in der Spüle liegt, wenn die To-do-Listen sich türmen, der Zug ausfällt oder nachts das Telefon klingelt. Dann gerät der Tritt aus dem Trott zum Wirrwarr, das neue Lösungen einfordert: andere Wege müssen gegangen, wieder andere Prioritäten gesetzt, Denkräume neu vermessen und durchdacht werden. Und eben in diesem Scheitern des Gewohnten oder auch Gewünschten liegt ein Funkenschlag verborgen, der einen ungeahnten Raum aufhellt. Ich sehe diesen reibungsvollen Kampf zwischen dem Gewohnten und dem Ungewohnten in den Bildwelten von Johanna Ludwig. Und eben deswegen sind ihre Bilder mir seit Jahren nah.

Nehmen wir uns exemplarisch für ihr Schaffen ihre aktuellsten Arbeiten, die Abfolge von Linolschnitten herbei. Was zeigen sie? Sie zeigen auf den ersten Blick ein Wechselspiel von Farbe und Weiß, von Hell und Dunkel, von Natur und Kultur, ein Wechselspiel von Schuld und Unschuld, Macht und Ohnmacht, von Struktur und Chaos. Nimmt die Natur ihren Lauf und ist alles nur ein Ausdruck unabwendbarer Schicksalsergebenheit? Oder kann der freie Wille das Unbegreifliche nicht nur begreifen, sondern sich zu eigen machen und es in seinem Sinne fortgestalten?

Betrachtet man die außergewöhnliche Bildschöpfungen genauer so erkennt man ein animistisches Weltbild: personifizierte Zapfenmännchen im Kampf, bei der Arbeit, auf dem Weg eine Treppe hinauf oder herab; Erscheinungen aus dem Nichts strahlen in die Natur hinein, verursachen qua Berührung all die Blüten und Früchte, für deren Zustandekommen uns längst jeder spirituelle Zugriff abhanden gekommen ist.

Nehmen wir bloß mal das irre Titelbild der Ausstellung her. Der Linolschnitt zeigt einen laokoonhaften Moment, den entscheidenden Moment also, an dem die ganze Geschichte ablesbar ist: Sie handelt vom Aufeinandertreffen zweier Haselnuswesen, welche durch einen Energiestrahl in Interaktion geraten sind – das eine Haselnusswesen thront wie im Glorienschein kraftvoll aufgeladen, der Schwerkraft enthoben über der Szenerie – das andere liegt zerborsten und hohl am Boden – da, wo der Energiestrahl mittlerweile seine große Kraft entfaltet, gibt er einen Spinnenkörper frei, einen Spinnenkörper mit angezogenen Gliedmaßen, wie es bei toten Spinnen üblich ist, da sich ihre Muskeln im Falle des Ablebens verkürzen. Ein Kampf zwischen unterschiedlich belebten Materien hat sich abgespielt: ein Haselnusswesen steigt in den Himmel auf, während das andere nurmehr die eigene Hohlheit offenbart – und eine Spinne (in unseren Augen oft als Abbild des Bösen instrumentalisiert) ist dabei auf der Strecke geblieben.

Gibt es eine ironische, vielleicht sogar sarkastische Lesart, nach dem Motto, viel Lärm um Nichts = alles mündet nur im Knacken hohler Nüsse? Ich glaube nicht, denn auch wenn die von Johanna Ludwig entworfenen Szenerien nicht ohne Komik sind, so spricht doch die akribische, sich um die Feier natürlicher Phänomene bemühte und vom Studium der Natur tief geprägte Ausführung eine andere, ernsthaftere Sprache.

Ein Atelierbesuch bei Johanna Ludwig zeigt, wie sie sich ihre Bildsujets erarbeitet: erst in Skizzen, dann werden die Skizzen zu Tableaus zusammengestellt und schließlich nach und nach in monate- ja jahrelanger Arbeit mit einer Akribie – die ihresgleichen sucht und am Randes des mit Linolschnitt machbaren operiert – in die Platten geschnitten und abgedruckt.

In der Langsamkeit des Arbeitens steckt auch ein meditativer Aspekt, ein Kontrapunkt zum sicher auch vereinnahmenden, Energie fressenden Alltag als Lehrerin und Mutter dreier Kinder - - das ewige Schneiden einer Linolplatte erscheint mir so auch als eine Insel der Kontemplation und Besinnung.

Das Studium der Natur ist der Biologin Johanna Ludwig stets Ausgangspunkt ihrer Arbeiten; anhand natürlicher Phänomene werden Szenarien und Figuren entwickelt, wird Architektur hinterfragt und visionär inszeniert, werden Tausendfüßler, Made, Floh bis ins letzte Haar ausdefiniert, gefeiert und zum genauen Betrachten präsentiert. Hier empfehle ich auch einen Blick ins Künstlerbuch „Der Tod auf Bastelbogen“ mit Radierungen, welche sich durch faszinierende Filigranexesse auszeichnen.

Ein anderer Aspekt: Betrachtet man die Linolschnitte samt Zapfenpersonal & Co, so mögen einem Assoziationen des Comics kommen, aus denen animierte Unmöglichkeiten und irrwitzige Hybridwesen uns vertraut erscheinen. Doch Comics definieren sich durch eine narrative Abfolge von Bildern, wie wir sie hier nicht vorfinden und Cartoons sind Bildgeschichten (oftmals ebenfalls ohne Worte) in einem Bild; doch auch das bringt uns nicht weiter, denn Cartoons münden in der Regel in eine Pointe und damit hat es sich. - Bei den Blättern von Johanna Ludwig ist das anders, vertrakter; auf der einen Seite erschöpfen sich ihre Arbeiten nicht im bloßen Nachempfinden natürlicher Phänomene; auf der anderen Seite teasern ihre Bildelemente leicht spröde die Narration an – und lassen uns darauf mit unseren Gedanken allein.

Würden wir gemeinsam ein Brainstorming zu den Arbeiten Johanna Ludwigs machen, würden sicher viele ganz unterschiedliche Aspekte zu Tage kommen. Allein der Linolschnitt eines auf einer Quaderanhöhe à la Computerspiel Minecraft stehenden Hauses: Ist es nicht witzig, wie dieses hier so prototypisch stehende Haus samt seiner aus Pyramidenplatten-Verschalung das „Quadersystem à la Minecraft“ nicht nur pervertiert, sonder regelrecht zu übetrumpfen sucht? Geht damit nicht auch eine Potenzbekundung einher, die besagt: meine künstlerische Imaginationskraft kann weiter gehen, als dein Computerspiel? Und ist es nicht noch witziger, dass diese stilisierte Quaderanhöhe von Camouflage-Strukturen (wie wir sie von militärischer Tarnkleidung kennen) umspielt und attakiert wird? Ich muss an die Rückeroberungsfeldzüge der Natur denken – wie sie eindrucksvoll in animierten TV-Dokumentationen nach dem Motto: 1 Stunde nach dem Ende der Menschheit / 1 Tag nach dem Ende der Menschheit / 1 Woche nach dem Ende Menschheit / 1 Jahr nach dem Ende der Menschheit usw. durchexerziert werden - - in denen deutlich wird: Die Natur holt sich ihr verloren gegangenes Terrain zurück. Jedenfalls strotzen auf Johanna Ludwigs Linolschnitt in besagter Szenerie im Hintergrund die Baumrümpfe höhnisch, ja fast jubilierend, so hat man den Eindruck.

Und würde man die Summen unser Assoziationen auswerten, so käme, würde ich vermuten, die Natur gar nicht so schwach dabei weg. Denn auf eigentlich fast allen Bildern lassen sich Spuren von Wehrhaftigkeit ausmachen: da wird gekämpft, mit magischem Touch berührt, getrotzt, gewuchert, frontal gegen uns angestanden und auch das Hackebeil wird geschwungen, wie die im Pilzland fällende Figur aus zapfenhaften Deckenschuppen uns zu zeigen weiß.

Was ich sagen möchte, ist: Die Natur begehrt auf: Gegen uns! Gegen uns bornierte, engstirnigen Menschen, die wir, global gesehen, die Natur knechten, wegdrücken, ignorieren, ausbeuten, vernichten. Der Anteil der uns Menschen berührenden Natur wird kleiner, während der virtuelle Raum in unermeßliche wächst und uns zunehmend mehr zu verschlingen droht.

Für die visuelle Kraft, mit der sich Johanna Ludwig gegen diesen Prozess stellt, bin ich ihr dankbar. Und dass sie formal keinen Knifflichkeiten ausweicht, dafür feiere ich sie (besehen Sie sich nur mal all die komplexen Entscheidungen, die im Kleinen getroffen werden müssen, etwa die Extremitäten beim ganz Struktur seienden, mandelförmigen Rautenmännchen - - wie diese am Körper sitzen, wie sich da Form und Gestaltungswille für- und gegeneinander verhalten müssen; extrem knifflig, und extrem gut von Johanna Ludwig gelöst.

Ich sprach anfangs vom Fegefeuer aus Struktur und Chaos, welches sich sowohl formal, als auch inhaltlich auf die Arbeiten von Johanna Ludwig anwenden lässt. Der auf ein abstraktes Level gehobene Fight zwischen Wildwuchs und Ordnung, zwischen Erwartbarem und plötzlich Reingrätschenden, zwischen toter Materie und Beseelung, letztlich zwischen Natur und Kultur ist einer, der die Beschäftigung lohnt.

Weil er immer aktuell ist, weil er die wichtigen Fragen stellt, weil er uns alle angeht und niemanden kalt lassen darf. Uns diesen Kampf verträumt, verspielt mit so viel Liebe zum natürlichen Detail, so viel Erfindungsreichtum und handwerklicher Meisterschaft zu kredenzen, darin sehe ich die Größe der Arbeiten von Johanna Ludwig.

Ich danke Ihnen.