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Karl Fritsch - Todsündenring (Habsucht)

Trag deine Schwächen!

- Zu den Todsündenringen von Karl Fritsch -

Die schmuckinteressierten Menschen dürfen sich beim Betrachten der Todsündenringe von Karl Frisch gleich zweimal irritiert fühlen. Zum einen werden sie sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass dieser spezielle Schmuck die repräsentative Funktion am Körper seiner Trägers mehr ideell denn tatsächlich erfüllt – dass dieser Schmuck mehr zum Tragen gedacht als zum Tragen gemacht ist. Zum anderen werden sie sich bei der Überlegung ertappen, was es bedeutet, solch einen Todsündenring zu tragen. Ja, sie werden sich (wie jeder, der sich dem Thema der Lasterhaftigkeit nähert), jenseits des bloß subjektiven Gefallens, zwangsweise in den Keller der eigenen Schwächen begeben müssen. Dabei müssen sie berücksichtigen, dass ihre Laster durch die Ringwahl für alle anderen erkennbar wären.

Mit der Zurschaustellung des eigenen Makels wäre die herkömmliche Funktion des Schmucks, nämlich Ziergegenstand zu sein und den Träger optisch aufzuwerten, bzw. Wohlstand zu repräsentieren, dahin. Stattdessen wäre ein neuer Ansatz möglich, nämlich offen und kühn genug für die Zurschaustellung der eigenen Schwäche zu sein – und zudem einen gehobenen Kunstsinn zu repräsentieren.

Einst waren die sieben Todsünden in der christlichen Lehre als Knechtmittel für den Pfad der Tugend im Einsatz und hatten im Mittelalter Hochkonjunktur; der zweite Tod der Seele, der eine Höllenstrafe nach sich zieht – wer wollte die schon. Vergeben werden konnten die Sünden nur mittels der Beichte und der vollkommenen Reue. Das ist etwas völlig anderes, als mehr oder weniger aufgeklärt zu seinen Sünden zu stehen.

Immer wieder haben sich Künstler mit dem Thema der Todsünden auseinandergesetzt und auch die (ikonografischen) Klassifizierungsmerkmale übernommen: Dante, Sebastian Brandt, Hieronymus Bosch, Otto Dix, Bert Brecht und Kurt Weill sind zu nennen. Doch in der Idee, die Todsünden im Medium der Schmuckkunst dazustellen, steckt etwas völlig Neues, denn hier sind die Träger sofort mitsuggeriert; im Schmuck steckt immer auch der Imperativ: Ich will getragen werden! – oder anders gesagt, um wieviel mehr steckt ein Träger bereits im Schmuck (den er trägt), als ein Betrachter im Bild (das vor ihm an der Wand hängt).

Wenn einem dann, trotz aller Schroffheit, in den Ringen von Karl Fritsch noch das Wesen der Sünde als kostbare Schönheit vorgeführt wird – gerät man völlig ins Schleudern. Wie dem auch sei: Die Todsünden lohnen in jeder Hinsicht einer erneuten Hinterfragung, denn aus manch einer Sünde, so scheint es, ist inzwischen eine Tugend geworden.

Superbia: Hochmut

Die erste und schlimmste der christlichen Todsünden. Im späten 6. Jahrhundert schmolz Papst Gregor der Große die Todsünde Hochmut aus Ruhmsucht und Stolz zusammen. Sie beginnt mit einer rebellischen Selbstüberhöhung, einem übermäßigen Streben nach Auszeichnung und Prestige und endet in Anmaßung, Verblendung, Prahlerei, kurz: Überheblichkeit. Ihr begegnet man am besten ohne falsche Bescheidenheit.

Seine Spannung bezieht dieser 11 cm lange, schroff oxidierte Silberring aus vier steil nach oben stehenden, überlängten Quadern; deren zangenhafte Anmutung wird konzeptuell genutzt, die grobe Aura durch die abstehenden Gusskanäle noch verstärkt. Allein durch sein Eigengewicht von gut 500 Gramm und seine Statik ist dieser Ring geradezu herausfordernd untragbar und "ziemlich hinderlich beim Klavierspielen", so Karl Fritsch. Als Kontrastmittel zum ungeschlacht Groben hat er sechs klare Steine verschiedener Größe in die sich verjüngenden Zwischenräume zwischen die Quader gekeilt. Im Brillantschliff funkeln da: Diamant, Saphir, Topas, Spinell und Bergkristall - - hier wird einiges an Licht gebrochen, hier blitzen Steine auf, werden Blicke geködert und gefangen gehalten. Eine Steinart ist gleich doppelt vertreten, welche es ist? Man weiß es nicht. Ebensowenig wie sich auf den ersten Blick die Frage beantworten lässt, welcher von den sechs Steinen der Diamant ist. Die Nichtdiamanten protzen also mit falschem Schein. Durch diesen Trick geraten alle Steine in Generalverdacht: Der Wertvolle kann für wertlos, die Wertlosen für wertvoll erachtet werden. Wer hoch reiten kann, kann tief fallen; die umgekehrte Erhöhungsdynamik ist natürlich schöner.

Ein nervöser Kitzel tut sich auf, wenn man sich der relativ leichten Entfernbarkeit der Steine bewusst wird. Dieser Ring ist eine Einladung zum Diebsein – und das auch noch unter moralisch einwandfreien Gesichtspunkten: denn manch einem Scheinstolzen gehört gewaltig der Zahn gezogen. Allerdings muss die Hand, die diesen Ring souverän zu tragen in der Lage ist, erst noch erfunden werden.

Avaritia: Habgier

Habgier und Geiz liegen nah beieinander. Das, was man an irdischen Gütern an sich zu ziehen versteht, will man bei sich behalten. Von hier aus gelangt man schnell zur Wurzel der Hartherzigkeit. Sicher steht der globalisierte Kapitalismus dieser Todsünde mit List und Tücke Pate; zu fragen bleibt: ist nicht die Unersättlichkeit des Einzelnen der eigentliche Motor jedweder Entwicklung?

Der eigentliche Ring ist ein Allerweltsring, wie er Anfang des 20. Jahrhunderts den Massengeschmack seiner Zeit traf: ein verspielter Goldring dessen Ringkopf von floral eingebetteten Perlen dominiert wird. Karl Fritsch hat den Ring seines Glanzes beraubt, indem er ihn dunkel eingeschwärzt hat; lediglich die Perlen schimmern leicht bläulich. Dann folgte der zweite Arbeitsschritt: Sechs Feingoldbarren verschiedener Art, Länge und Breite wurden so arrangiert, dass sie raffiniert aufgefächert aus dem Blumenbouquet des Rings hinaus in die Welt ragen. Knapp 100 Gramm Feingold steht schicksalhaft aneinander und macht vor allem eines: Bling! Bling! Es geht es direkt 1:1 zur Sache, keiner, der nicht sofort von der Goldwucht dieses Rings geblendet ist; die Goldbarren spiegeln sich gegenseitig und potenzieren damit noch ihren Schein und Zauber. Das so summierte, und nach (noch) mehr aussehende Gold bläst das Fragezeichen im Betrachterblick einfach weg. Ein Ring, der blendet, ein Ring für Blender und unumwundene Prahler – und, das ist die Perversion dieses Ringes, dennoch einfach wunderschön! Der Ring versinnbildlicht beide Facetten der Avaritia: zum einen der Drang nach mehr, nach einer Anhäufung der Reichtümer, die man hier so protzig zusammen sieht; zum anderen ist dieses optisch so ansprechende, sich in der Wirkung potenzierende Geglänze und Gefunkel, das Stelldichein der Goldbarren, eine optische Bestätigung dafür, dass es Sinn macht, zu sammeln, zu horten, zu raffen – sprich: geil und geizig zu sein.

Invidia: Neid

Neid ist die jüngste, von Papst Gregor dem Großen in den Kanon der Todsünden aufgenommene Sünde. Missgunst und Eifersucht finden sich im Dunstkreis des einsamsten aller Laster. Das Unbehagen über das Glück des Nächsten ist Quelle und Wurzel des Hasses, der Intrige und der Verleumdung. Die eigene Befindlichkeit paart sich mit einem unermesslichen Kontrollzwang: Wo wie und was sind die anderen? And the winner is... nobody.

Die Schlange ist in der biblischen Schöpfungsgeschichte ein Symbol der Sünde. Sie galt demnach seit jeher als Attribut der Invidia. Im Invidia-Ring winden sich demnach auch drei zerstückelte Schlangen um zwei Perlen, eine helle Perle (= das Gute) und eine dunkle Perle (= das Böse). Ein undurchsichtiges Gewinde. Die einen wollen, was die anderen haben und umgekehrt. Selbst ein Zerhacken kann ihnen nichts ausmachen, es ist wie das Durchtrennen eines Wurmes, dessen Hälften weiterleben. Seit der Renaissance wurde die Invidia unter Einfluss Ovids als hageres, altes Weib mit einer Schlange an der nackten Brust dargestellt; sinngemäß: die Schlange frisst das eigene Herz oder: Neid verzehrt sich! So auch hier: das undurchdringliche Gewinde um Gut und Böse, ums gegenseitige Werten der potentiellen Beute; ein Moment angespannten Innehaltens kurz vor der entscheidenden, blitzartigen Kampfbewegung, wenn sich die Kontrahenten zeitgleich aufs Hab und Gut des anderen stürzen und damit eine Situation schaffen, die exakt wieder der Ausgangssituation gleicht, nur das die eine Schlange nun das hat, was die andere eigentlich doch selbst begehrt - - ein Sinnbild des unendlichen Kreislaufs aus Erobern und Verlieren, der aus der Vogelperspektive betrachtet wenig bis gar nichts bringt und die Kontrahenten zu ununterscheidbaren Gierlappen macht.

Ira: Zorn

Sein auffälligstes Merkmal ist die Impulsivität; er ist fast immer eruptiv und explosiv – das macht ihn so (selbst)zerstörerisch. Der Zornige ist Sklave seines eigenen Affektes; das ungezügelte Temperament lässt sich von Vergeltungswut und Rachsucht führen und schlägt mit den Waffen der Blasphemie, der Beleidigung und der Gewalt zu. Wächst noch irgendwo Gras?

Der Ring überträgt ganz unmittelbar das Wesen des Zorns in eine sich hochschaukelnde agressive Selbstvergessenheit. Der gesamten Komposition liegt eine spektakuläre Aufwärtsbewegung zugrunde, die gefräßig ist, die Besitz ergreift, nichts aus den Klauen lässt.

Das harmonische Gleichgewicht zwischen dem verdrehten, schwarz oxidierten Silbertentakeln, die einen großen und zwei kleine Bergkristallzapfen halten, werden durch die bunten Glasstäbe empfindlich gestört. Allein deren Farben: Giftgrün, Neidgelb, fahles Orange und – richtig schön querliegend! – energetisch aufgeladenes Rot - - wie scharfe Blitze schlagen die Glasstäbe kreuz und quer in die eigentlich harmonische Komposition, die dadurch unsichtbar wird, die ins Hintertreffen, ins Abseits, Aus gerät.

Luxuria: Wollust

Die unersättliche Steigerung der körperlichen Lust zur puren Sexualität; hier regiert der selbstsüchtige Trieb- ohne geheucheltes Interesse am Objekt der Begierde.

Träger des dramatischen Aufbaus ist hier wieder ein grob geformter Ring aus Schwarzsilber mit einem ausladend trichterartigen Aufsatz: in ihn sind glatte, signalrote Korallen montiert. Obszön ragen sie zu allen Seiten aus dem Ring, mal an Lippenstifte, dann wieder an Zuckerstangen, Phalli oder Finger gemahnend; eine Assoziation, die nicht zuletzt dadurch unterstützt wird, dass mit erfrischender Frechheit vier ältere, handelsübliche Goldringe auf die Korallen montiert wurden. Wie sie so beieinander gesteckt im Ring "hängen" und ihre kaum wertvollen Steine offenbaren (Amethyst, Rauchquarz, Aquamarin – Ausnahme ist ein kleiner Diamantring, auch er absolute Dutzendware) – geben sie viel von ihrer Authentizität preis. Sie sind üblicherweise einmal aus einem Zugehörigkeitsgefühls heraus verschenkt, getragen, weitervererbt und dann im Handel verschleudert worden, wo Karl Fritsch sie aufgelesen hat.

Normalerweise macht das verwendete Material den eigentlichen Wert eines Ringes mit aus; nicht so hier, wo die Materialität lediglich benutzt wird, um das authentische Sammeln von Liebschaften zu demonstrieren. Hier! schreit der Wollust-Ring, ich hab sie alle gehabt! – und ist damit zugleich ein witziges Statement zum sexuellen Posertum.

Interessant ist die Verwendung von organischen Stoffen, eben der Koralle, als Hauptgestaltungselement des Wollust-Ringes – ein Verweis auf die die Schmucktradition aus den Anfängen der Menschheit, als ein animalischerer Zugang zur Geschlechtlichkeit in einem weitaus größerem Maße vermutet werden darf, als es heute der Fall ist.

Gula: Völlerei

Mit der Völlerei sollte früher vor allem die Trunksucht gegeißelt werden; später die Unmäßigkeit und heute die Fresssucht. Das große Fressen, Fast-Food-Ketten, Endstation Schlaraffenland, All-you-can-eat-Lockangebote, Ergebnis: drastische Zunahme an XXL-Größen einerseits, andererseits magersüchtiges Wunschdenken, um der medial vermittelten Norm zu genügen.

Die Form des Ringaufsatzes erinnert sofort an einen gigantischen Burger. Die zweite, nach unten ausladende Füllschicht spricht für die fette Gewichtung. Als Burgerbrötchenhälften dienen oxidierte Silberfladen, deren raue Oberfläche eine schimmlige Assoziationskette in Gang setzen. Die beiden Zwischenlagen des Burgers bestehen aus kleinen, separat zusammenarrangierten Onyx-, Blutjaspis- und Glassteinen. Die schwarze Füllmasse, die aus dem Burger hervorzuquellen scheint, glänzt wie eine fettig-giftige Herausforderung. Schon noch exquisit, aber mehr noch unappetitlich, eklig, verdorben. Der platten Deutung: Fastfood ist böse! – widersetzt sich der Glanz der schwarzen Steine auf wundersame Weise.

Acedia: Trägheit

Auch an dieser Todsünde hatte Papst Gregor der Große seine Hand dran. Er schlug der gemeinen Erschlaffung einfach noch die Melancholie zu, sodass es von nun an hieß: Trägheit des Herzens, des Geistes und des Körpers. Die apathische Unterlassung von (guten) Werken schafft Gleichgültigkeit; möglicherweise steht dahinter das Bewusstsein, Körnchen in einer ablaufenden Sanduhr zu sein. Rasch begegnet man diesen Sündern mit dem Vorwurf des Schmarotzertums.

Kongenial ist Karl Fritschs Ringumsetzung zum Begriff der Trägheit: Er selbst hat es unterlassen, diesen Ring zu formen. Der Zufall hat ihn gemacht. Der eines Abends auf der Heizung vergessene Klumpen Wachs verflüssigte sich, tropfte und bildete auf dem Fußboden erneut eine amorphe Masse. Eine Art unbewusster, dreidimensionaler Mini-Pollock war am nächsten Morgen entstanden; dieser Klumpen bildete nun die Ausgangsbasis für den Ringkopf. Nichts filigranes ist daran, nichts an bewusster Form oder Schönheit, in dieser Form steckt nichts drin, aus dieser Form kommt nichts raus. Sie ist eine einzige, nach unten ziehende Unförmigkeit. Etwas sich verhängnisvoll Ausbreitendes. Wenn eine Assoziation erlaubt ist, dann vielleicht die von Gedärm, von Verdauung, ja vielleicht sogar von Scheiße, von Scheiße als Form.

Die Todsündenringe von Karl Fritsch sind eine Einmaligkeit in der Schmuckgeschichte. Geboren aus dem Ringen um die menschliche Lasterhaftigkeit, sind sie ideell von jedem zu tragen, der sie ansieht; plötzlich fühlen sich die Betrachter auf die eigenen Schwächen zurückgeworfen. Die Kraft dieser Ringe besteht darin, dass sie die Lasterhaftigkeiten, die sie repräsentieren, für die Dauer eines aufblitzenden Augenblicks als (die eigentlich-menschliche?) Kraft und Stärke fassbar machen.


(In: Leporello Karl Fritsch, Overbeck-Gesellschaft Lübeck 2007.)