unveil 22
Michael Schmeichel, unveil 22, 2019, Gesso auf Holz


Im großen All-over

Anmerkungen zu Michael Schmeichels Serie „unveil“

Es gibt kein Zögern, kein Später. Es gibt nur ein Jetzt. Ein bedingungsloses, forderndes, pochendes Jetzt. Und dieses Jetzt offenbart sich in seiner Distanzlosigkeit sofort. Genau dieser Durchdringungscharakter macht den Reiz der Serie „unveil“ von Michael Schmeichel aus. Flugs reißen einen die Assoziationsketten mit: geronnene, fließende, verschobene Strukturen, Momentaufnahmen aus einer Welt der Bewegung, flüchtige Stills von inneren Organismen, Röntgenaufnahmen, Knochenbau, Organe, Unschärfen – Druckkammern einer uns mit- und fortreißenden Körperwelt.

Möglicherweise kommt die erhebliche Kraft in „unveil“ zustande, weil Michael Schmeichel sich hier in seinen Mitteln stark begrenzt: keine Großformate, keine Farbe, keine Pinsel. Und das macht etwas mit einem: Die Formate sind klein genug, dass wir sie eins zu eins zu unserem Körper in Beziehung setzen können, was die Röntgenästhetik zusätzlich befeuert; unterstützend werden die Bilder z.T. (leucht)kastenartig gerahmt. Der Verzicht auf Farben, also das ausschließliche Nutzen von Schwarz und Weiß schwört in seinen harten Kontrasten zudem den Konzentrations-Fokus ganz auf die Strukturen ein. Und der Verzicht auf den Pinsel, der zugunsten einer Schabe-, Rakel- und Spachteltechnik aufgegeben wurde, ermöglicht eine ganz eigene ästhetische Formensprache: denn die auf geschwärzte Holzplatten aufgetragene weiße Farbe ist keine Farbe im herkömmlichen Sinn, sondern weißes Gesso, eine ebenso feine wie träge Grundierungssubstanz, mit der man normalerweise Leinwände oder Holzplatten für den eigentlichen Malakt vorbereitet.

In „unveil“ wird die Grundierung nun selbst zum Akteur und darf zeigen, was sie unter minimalem und maximalem Spachteldruck so alles kann: wahnsinnig glattgestrichen sein, verschlieren und verschmieren, im Abklatsch wie eine Monotypie wirken. Der Auftrag bleibt tendenziell flach, pastöser Pomp und Protz wird vermieden. Michael Schmeichel zieht seine Spachtel von oben nach unten, mal kürzer, mal länger, lässt sie in Halb- und Viertelkreisen rotieren, drückt das Gesso an und zieht es ab, tupft Spachtelkanten und Spitzen ab, lässt den Prozess zu, setzt die Spachelmasse mal mehr, mal weniger unter Druck, wodurch der Auftrag von dickweiß geglättet bis fastschwarz abgekratzt alle Nuancen durchläuft.

Dieser bisweilen schon informel anmutende, ja, K.R.H. Sonderborg´sche Dynamismus (hier allerdings mit dem Spachtel und nicht mit dem Pinsel dargeboten) führt zu einer auffallenden Bedeutsamkeit des Formlosen. Anders als in den Spachtelarbeiten von Gerhard Richter explodieren in Michael Schmeichels Zyklus keine Farbwelten – und der Spachtel wird im gestischen Prozess durchaus auch sehr bewusst eingesetzt, um leibliche Effekte zu forcieren.

Die Serie erschließt sich zudem in der Zusammenschau, indem sie verdeutlicht, dass die einzelnen Bildern nur Teile eines großen Ganzen sind; die Ausschnitthaftigkeit der einzelnen Bilder suggeriert, dass die Strukturen über die Bildwelten hinaus gehen, sie also nur ein Ausschnitt von etwas Gewaltigerem sind.

Diese Bilder als etwas zutiefst Menschliches und doch auch als Teil von etwas Übergroßem zu erfassen, das hat eine metaphysische Dimension. Die oftmals symmetrisch anmutende Bildanlage lässt die Assoziationen zu Körperwelten weiter aufblühen, als wäre sie an einer imaginären Wirbelsäule ausgerichtet. Menschsein im großen All-over.

Eine andere existentielle Eröffnung, der die Bilder der Serie „unveil“ nachgehen, ist die alles überstrahlende Frage nach der imaginären Lichtquelle: Was ist es, das die Bilder wie von innen heraus leuchten lässt? Wo kommt dieses Leuchten her – und was löst es aus?

Wo es herkommt, kann wohl niemand sagen. Was es auslöst, hingegen schon. Es offenbart einen Durchdringungscharakter und suggeriert damit ein „ich komme überall durch“, was uns (wohltuend) an unsere Möglichkeiten erinnert. Zum anderen beherbergt dieses werkimmanente Licht einen weiteren Hoffnungskeim: nämlich den, etwas am Ende des Tunnels zu sein. Etwas, auf das wir zugehen können.