Peter Nagel, Hund mit Kreisel, 1967, 200 x 150 cm
Auf dem Boden der Wirklichkeit
- Zum Bild „Hund mit Kreisel“ von Peter Nagel -Da liegt der Hund, das weiße Windspiel. Er liegt nicht mehr als ein winziges Detail zu Füßen seines Herrn wie auf dem Dreikönigsaltar von Rogier van der Weyden, dessen Zitat er ist; er verweist auch nicht symbolisch auf seinen Herrn und sagt: Dieser Mensch ist ein guter Mensch. Im Gegenteil, Peter Nagel hat das weiße Windspiel aus Weydens Altarbild herauskopiert, ihn seines zeitgemäßen und symbolischen Umfeldes beraubt, ihn sozusagen entsymbolisiert und hinein in eine ganz neue, andere Szenerie geworfen, in der das Tier fortan die Hauptrolle spielen darf.
Hier liegt der Hund in einem leeren Raum, in dem Grau-, Schwarz- und dunkle Grünnuancen dominieren (die ihn noch heller, ja geradezu leuchtend aussehen lassen); die räumlich davonziehenden Bohlen machen das ohnehin schmal wirkende Tier noch schmaler; zudem suggerieren sie eine gewisse Räumlichkeit, die durch die Perspektive der Aufsicht dem Betrachter seltsam zu kurz geraten erscheint. Es ist, als gäbe es in diesem Bild keinen richtigen Vorder-, Mittel- und Hintergrund, es ist, als wäre alle Perspektive seltsam ausgehebelt, als wäre der Hund überdimensioniert, als wäre der Betrachter in einen verunsichernden Schwebezustand versetzt: Schließlich muss er bei einer Bildgröße von 200 x 150 cm den Hund aus der Untersicht betrachten, obwohl das Bild selbst von einem erhöhten Betrachterstandpunkt ausgeht, was zur Folge hat, dass man sich vor dem Bild kleiner fühlt, als man ist. Dieser Hund ist also groß, dominierend und er schafft es, uns zu verunsichern. Etwas Kaltes, Stoisches strahlt er aus, etwas Herausforderndes, aus heutiger Sicht vielleicht sogar etwas Linkisches mit seinen wie zum Schwurbruch überkreuzten Vorderläufen. Die schwarze Wand hinter dem Hund öffnet einen unhaltbar weiten Raum und lässt ihn als einen kühlen Zerberus, die Verlorenheit bewachend, erscheinen.
Wäre da nicht der bunte Kreisel. Steckt im Bild auch die Absenz von Menschen, so ist doch das Menschliche darin präsent: sowohl das Zweckgerichtete (Architektur), als auch das Zweckfreie (das Spiel). Doch die Energie, die den bunten Kreisel in Drehung und somit seine Benutzer in Freude versetzt, muss erst wieder aufgebracht werden. Starr ist der Kreisel auf dem Boden der Wirklichkeit angekommen. Es hat sich ausgekreiselt. Nahezu phallisch scheint der spitze Kreiselstab den runden Kreiselkörper durchbohrt zu haben. Seine Spitze weist in Richtung des Geschlechts dieses Höllenhundes, was zusätzlich dessen Triebhaftigkeit betont. Wer diesen Kreisel kreiseln lassen will, muss sich aufs Spiel, aufs Spiel des Lebens, aufs Spiel des Todes einlassen, so die Botschaft dieses Bildes.