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René J Goffin - 935

Verlocken, verlaufen, verschwinden

Zu den Gemengetafeln von René J Goffin

Egal was ich jetzt
Denke. Wind fährt durch den Efeu
Und jedes Blatt nickt.



Viel an Welt kommt aus den unterschiedlichsten Ecken und Blickwinkeln in Goffins Gemengetafeln zusammen; verwaiste Überbleibsel der Wirklichkeit finden sich in eine neue Welt eingebettet, eine Welt der Farben und Formen, eine Welt der Komposition. Die aus der realen Welt entnommenen Bildvorlagen müssen dafür in der digitalen Bearbeitung allerlei Manipulation durchmachen: sie erscheinen aus ihrem Kontext gelöst, verzerrt, gespiegelt, verdreht, verfälscht. Es bedarf, die Übermalungen eingeschlossen, demnach massiver Vorgänge, damit sich die konkreten Vorlagen in den Bildkosmos einfügen; dabei ist ihr Vorkommen mehr als ein ironisches Zitat, es ist eine Absage an die bloße Illustration. Die Bilder im Bild dienen der Vergegenwärtigung abstrakter Prozesse, bringen ein Maß an Bodenhaftung in die metaphysischen Einsichten ein: Sie zeigen, dass hinter dem realen Abbild mehr steckt, als das sinnlich Erfahrbare. Die wahrgenommenen Bestandteile der Welt werden erst zu einer Erkenntnis, wenn man sie neu miteinander kombiniert, wobei die Verfremdung ein geeignetes Mittel ist, aufgrund der Dekontextualisierung des Materials zu neuen Einsichten über Wahrnehmen und Erkennen und somit über das Wesen der Welt zu gelangen. So komplex die Bilder auch scheinen, sie überführen die Komplexität der Welt – und des Reflektierens über sie – letztlich in etwas Allgemeines, eine geradezu einfache Aussage.

Triumphiert die nichtgegenständliche Malerei über die in sie hinein geholte gegenständliche und damit tatsächliche Wirklichkeit? Nein. Allein die Tatsache, dass die abstrakte Sache sich an Zitaten der Wirklichkeit bedienen muss, straft ihrer vermeintlichen Stärke Lügen; andererseits reicht die bloße Darstellung der Wirklichkeit ebenfalls nicht mehr aus, um eine universale Erkenntnis zu vermitteln. Es gilt das Wechselspiel. Farbe und Form können nicht allein das Ereignis sein; zu sehr schauen Betrachter und Betrachterinnen durch sie hindurch auf der Suche nach, ja was? Nach etwas, dass ihrem Blick Einhalt im Treiben verspricht? In Goffins Gemengetafeln finden sie diesen Halt, wenn sie unvermittelt, mitten in einer ungegenständlichen Komposition versteckt auf Sternenhaufen, asiatische Schriftstücke, Ultraschallaufnahmen, perspektivisch umherfliegende Zahlen, Floralmuster oder deutlich erkennbare, bedruckte Gewebe treffen. Dann stellt sich ein kleiner Schock ein: Was du hier siehst, sagt der kleine Schock, ist keine aus den Höhen von Wolkenkuckucksheim herab geholte Komposition, sondern ein Stück heimgeholte Welt, wie du sie kennst – und von der du ein Teil bist.

Die Gemengetafeln selbst wollen Teil sein und Anteil nehmen. Deswegen sind sie trotz ihrer geringen Größe weniger Guckkästen, als vielmehr dramatisierte Energieballungen, welche die Ausschnitthaftigkeit betonen. Der Fortgang der Bildrealität jenseits des Bildraumes lässt sich mühelos erahnen.

Auf der Ebene der Malerei sind Spuren mannigfacher Kämpfe ablesbar: Manches hat sich gelöst, manches verdichtet, wir sehen Schlieren, Tropfen, Fließendes, Verschüttetes, Verdrängtes, Verschleiertes, Überlagertes; chemische Prozesse haben im Mikro- und Makrobereich des Sichtbaren stattgefunden. Was einst floss, ist ins Stocken geraten, geronnen zu einer starren Bildwelt, der Kampf ist gewonnen. Die Farbpalette reicht von grellen Signalfarben, über Wärme spendende Nuancen bis hin zu dezenten und kühlen Tönungen, kurz: auf dieser Ebene gibt es nichts, was nicht der Fall ist; alles Mögliche scheint stets möglich zu bleiben. Nichts, das vermitteln diese Bilder, darf einen ewig festen Platz beanspruchen – womit die Kernaussage der Gemengetafeln berührt ist.

Es sind die Reibungspunkte, welche die Quintessenz der Werkreihe ausmachen: Da wird die eigene, profane Malerei mit heiliger Tempelmalerei gekreuzt, das Besondere zum Allgemeinen in Beziehung gesetzt, Leserichtungen von Texten in der Betrachtung des Formats gebrochen, Handarbeit und Technik zusammengebracht, dokumentarisches Material digital verfälscht, da werden scharfe Kanten gegen diffuse, weiche Rundformen gesetzt, wohlbekannte Tesa-Krepp-Breiten und rechte Winkel anzitiert, um von Schrägen überspielt und dominiert zu werden. Das als exakt Geometrisierte und somit Idealisierte versinkt im weltlichen Chaos von Prozess und Kontrolle, im Spannungsfeld von Plan und Zufall, von Idee und Spiel. Die formale Freilegung geometrischer Objekte ist genauso real wie ihre Verschleierung: Beides ist sich gegenseitig Kommentar.

René J Goffin arbeitet ohne Entwurf, er vertraut seiner in über 1000 Bildern gewonnenen Erfahrung, seiner Intuition und der Prozesshaftigkeit. Die Fragen der Schlacht um ein Bild lauten: Was füge ich hinzu? Wie halte ich das Gleichgewicht? Und wann lasse ich los? Kompositionen sind immer auch ein Statement des Loslassenkönnens zum richtigen Zeitpunkt, damit die Bildkomposition nicht erstarrt, sondern in einem verlockenden Schwebezustand bleibt.

Durchs mehrmalige Übermalen mit transparenten Farbschichten betten sich die verschiedenen Ebenen bis zur Unkenntlichkeit ein. Zudem verleiht das Volumen der Acrylschichtungen der Bildoberfläche einen für die Werkreihe typischen Glanz. Dieser Glanz reflektiert das Licht, er kann das Bild immer wieder neu und anders aussehen lassen und spiegelt, je nach Blickwinkel, die Betrachter und Betrachterinnen selbst.

Goffins Gemengetafeln sind nicht, wie die abstrakten Bilder Gerhard Richters, im Grunde parodistische Kommentare der modernen Kunst und ja, natürlich hängen sie dem Stottern der in die Jahre gekommenen Bildermaschine der Hochmoderne nach. Das Abstrakte mag zwar Konvention geworden sein, doch es ist ohne Alternative; ebenso wie das Gegenständliche zur alternativlosen Konvention erstarrt ist. Derlei Kategorien sind völlig unbedeutsam. Goffins Gemengetafeln leben davon, klein und wendig zu sein, sich für rasche Manöver zu öffnen. Die Werkreihe ermöglicht seinem Schöpfer, malerisches Wissen, Erkenntnis, Erlebnis- und Reiseerfahrung in einem Artefakt zusammen zu bringen. Alles ist im Fluss sagen die in Dynamik erstarrten Bilder. Welch Paradox. Ihr gemeinsamer Nenner ist ihre sofort offenbar werdende metaphysische Dimension: Die grundlegende Idee nämlich, dass immer etwas nach dem Ist-Zustand kommt, dass alles in Bewegung bleibt und nichts von dem zu halten ist, von dem wir glauben, dass es Bestand haben wird; das jeweils Erscheinende verschwindet immer weiter unter neuen Übermalungen: Sedimentschichtungen aus Selbstschöpfung und Selbstvernichtung, unendliche Kämpfe in einem sich immer wieder verändernden, fließenden Grenzverlauf, kosmisch, transzendental und als Idee von Friedrich Schlegel bereits unter dem Schlagwort „Romantische Ironie“ zum Fanal erhoben. Das Wechselspiel von Kunst und Wirklichkeit ist verbunden mit der Idee, der Welt etwas von der Welt zurückgeben, also der Wirklichkeit die Wirklichkeit in Kunstform vorzusetzen, im Bewusstsein, dass die, welche sie auflesen, ihre Sicht der Welt, ihr Erkenntnisvermögen zu verbessern in der Lage sind. Etwas Visionäres steckt in den Gemengetafeln: Alles ist, und alles ist schön oder nicht schön; doch nichts von dem wird bleiben, wie es ist, überhaupt, nichts wird bleiben - - mögen Betrachter und Betrachterinnen denken, die ihren Blick in die verlockenden Strukturen der Gemengetafeln versenken, ohne vielleicht zu merken, dass sie sich längst darin spiegeln.