
Thomas Palme - Domus Momus
Leb ich / so leb ich! – Sterb ich / so sterb ich!
- Anmerkungen zu den Zeichnungen Thomas Palmes -Üppige Blühwilligkeit ist in Thomas Palmes Bildwelt; das Eigenste und das Entlegenste blüht darin geheiligt auf – und da es geheiligt bleiben will, hüllt es sich in ein Mysterium. Die Zeichnungen haben kein anderes Ziel als sich selbst. Keine Zeichnung, um ein Zitat von Stefan George abzuwandeln, wird je so groß, so edel, so wahrhaft würdig den Namen Zeichnung tragen, als jene, die einzig aufs Papier gebracht wurde aus Freude, eine Zeichnung zu machen.
Die von Palme erschaffene Bildwelt blüht im anarchischen Kunstraum. Hier dürfen morbide Überraschungen den Tod als Erotikon feiern, Widersprüche als offene Wunden stehen bleiben, trashige Obszönitäten mit kanonisierten oder zwielichtigen Personen der (Geistes)Geschichte zusammentreffen. Kunst ist nicht weltgleichgeschaltet. Die Befreiung von der rationalen Knute allein reicht aus, Kunst zur Provokation zu machen, den Betrachter zum Kampf herauszufordern, sich mit etwas auseinanderzusetzen, das ihm ohne den Impuls des Kunstwerks verborgen geblieben wäre; die Provokation ist eine oktroyierte Aufklärung, die sich in Zeitlupe in die Betrachterköpfe schleicht. Es ist an der Zeit, dem hochgejubelten jugendliche Trallala, der systematischen medialen Volksverdummung etwas entgegenzusetzen. In der schwindsüchtigen Gegenwelt, die Palme entwirft, treiben die beschnittenen Sprösslinge des Fin de siècle und der Art Brut aus wie notgeile Zweige; Zweige eines Lebensbaumes, der auf einem deutschen Friedhof steht. Mit Freiheit, Tempo, Wucht impft Palme ihm einen dämonischen Wildwuchs ein. Sein Strich zeichnet sich niemals im Filigranen tot; dennoch wirken die Zeichnungen fein und prägnant, wohl auch, weil sie die Möglichkeiten von Graphit auf Papier ausreizen: vom fast unsichtbaren, präzisen Strich zur gestisch-impulsiven, das ganze Blatt dominierenden Einschwärzung; vom feinsten Haar zum schwärzesten Loch scheint alles mach- und greifbar.
Mit den in die Zeichnungen eingeschriebenen Texten verhält es sich, wie mit jedem anderen Text in Kombination zu einem Kunstwerk auch: Entweder ist er Nenner, Schlüssel, Falle oder Siegel. Palmes Bildwelt bewegt sich im Irgendwo zwischen Sein und Werden, Schein und Sterben; in einer raschen, unerhörten Schaffensdichte generiert er seine diabolischen Ikonen. Kein Bild, das der Tod nicht mitgemalt hat und das nicht wie ein verzerrter Akkord auf einer Punk-Gitarre klingt. "Nur keine Langeweile/ Darauf steht die Todesstrafe" singen die Goldenen Zitronen; die süße Chimäre des Todes lockt aus dem Papier – wer sie ansieht, kann nicht umhin, in die ansprechenden und vielseitigen Oberflächen dieser Zeichnungen einzubrechen – auch wenn er sich hinterher fühlt, als habe er zwanghaft in den Betteltopf eines Penners gucken müssen. Es gibt keine Klarheit, nur barocken Liebreiz. Es gibt kein moralisches Werten in dieser Welt, in der ewig alles eitel bleibt. Und wenn in finsterer Umnachtung ein Gewitter aufzieht, so soll es reinigend und schön sein. Ich selbst sah eines Nachts zwischen Donner und Blitz aus dem Fenster und dachte: Ich bewundere die Falter, die zu Hunderten, trotz des harten Gewitterregens, um die Straßenlaterne flattern. Und ich dachte: Ich verachte die Falter, die zu Hunderten, trotz des harten Gewitterregens, um die Straßenlaterne flattern.
(In: The Brick – Thomas Palme – Works not only on paper 2003-2004 (Hrsg. Andy Lim), Darling Publications Köln 2004.)