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Foto: passage2011.org

Einige metaphorische Anker zum transalpinen Drama passage2011

– Wolfgang Aichner und Thomas Huber ziehen ein Schiff über die Alpen zur Biennale –


DIE HERAUSFORDERUNG DES UNERGRÜNDLICHEN

Ich: Ich habe festen Grund zur Annahme, dass Rauschen und Unendlichkeit zusammen gehören.
Das Meer: Na und?
Ich: Ja, ist doch toll!
Das Meer: Na, dann hör mal wie ich durch dich hindurchrausche!

71% der Erde ist von Wasser bedeckt, dem Element, das Leben spendet, Durst stillt, eine reinigende Wirkung hat, doch genauso seine andere, fratzenhafte Seite zeigen kann: verschlingend, zerstörerisch, kalt. Die unergründliche Tiefe des Ozeans ist eine dunkle Macht. Das Meer bildet eine natürliche Begrenzung des menschlichen Lebensraumes. In der Antike war das Meer eine den Göttern zugeschriebene Sphäre. Damit versuchte der antike Mensch sich die Unberechenbarkeit und Gefährdungen des Meeres zu erklären. Man kann es auch mit einem Haiku sagen: Die See ein Spiegel. / Wieder doppelte Präsenz / Für die da oben!


TROTZEN

Ich: Eine gewaltige Welle!
Das Schiff: Festhalten!
Ich: Mir ist schlecht.
Das Schiff: Kotz mir nicht auf die Planken.

Es gehört zur menschlichen Natur, den der göttlichen Sphäre zugeschriebenen Naturerscheinungen zu trotzen. Schon Gilgamesch versuchte über die Wasser des Todes zum ewigen Leben zu gelangen. Startschuss für die navigatio vitae, die metaphorische Verbindung Meer-Leben-Schiff, von Hans Blumenberg nautische Daseinsmetapher genannt. Was sind die Irrfahrten des Odysseus anderes, als ein Kitzeln am Gaumen der Götter, eine abenteuerlustige Grenzverletzung, der Kampf einer Metapher ums öffentliche Bewusstsein? Welcher Schiffer entdeckt zuerst in den schaukelnden Planken, auf denen er steht, sich selbst, das Bild der eigenen Existenz: seiner fortwährenden Gefährdung, seines unablässigen Wagemuts?


NICHTS HÄLT EWIGER

Ich: Und, ist es schlimm?
Sisyphos: War schon schlimmer.
Ich: Echt?
Sisyphos: Bin längst über den Punkt.

Wer wie Sisyphos mit dem Tod spielt, wird ihn nicht mehr als Erlösung begreifen können. Nie erledigt ist seine Pein, einen gewaltigen Stein bergauf zu rollen, zu schieben, zu drücken, nie erledigt, denn kaum ist der Stein so gut wie oben, lässt er sich nicht mehr halten und rollt hinunter. Und alle Mühen beginnen von Neuem. Für Camus ist Sisyphos der Stellvertreter des Menschen, der inmitten eines absurden Daseins versucht, durch seine Handlungen Sinn zu erzeugen. Sisyphos ist gut im Training. Er muss ein ungeheuer starker Mann sein. Und jeder weitere Gang wird ihn zusätzlich stärken, in körperlicher wie in geistiger Hinsicht, einer für alle zu sein: Wenn seine Mühsal ewig dauert, so hält auch alles andere Leben an. Ein Arbeiter gegen die Endlichkeit, ein Held, einer, der uns die Tür aufhält.


DAS TOTENREICH KANN WARTEN

Ich: Wo sind denn die Kissen?
Charon: Wird hier nicht geliefert.
Ich: Decken?
Charon: Wird hier nicht geliefert. Oder, was meinst du, Noah? (lacht)
Noah: Wird hier nicht geliefert.

Das Schiff erhält in der biblischen Geschichte von Noah als Lebensschiff einen Sinngehalt: den der Rettung menschlichen und tierischen Lebens vor den Gefahren einer bedrohlichen Natur; das Meer erscheint als Ausdruck finsteren Grolls. Die Lektion: Frömmigkeit von innen und Erbarmen von oben, schon lässt sich der Vernichtung trotzen. Der Verlauf der Reise zu Schiff ist eng verbunden mit dem Verlauf des menschlichen Lebens, samt Happy Finish: einem Heilsversprechen. Auch unter dem Schutze Christi, des Steuermanns, wird der Gläubige sicher an den Ort seiner Bestimmung gelangen: in den Hafen Gottes, der elysischen Ewigkeit. Nicht zufällig erscheint der Mastbaum des Schiffes wie das christliche Symbol des Kreuzes.
Im Gegensatz zum Lebensschiff stehen die Bilder des Totenschiffs und der Reise über den Totenfluss, wie sie aus der ägyptischen und griechischen Mythologie bekannt sind. Das Schiff dient als Transportmittel für die Seele auf dem Weg ins Jenseits. So friedlich das hier alles klingen mag, in Michelangelos Darstellung Charons in der Decke der Sixtinischen Kapelle geht es verflucht ruppig zu: Charon treibt die Verdammten in die Hölle.


MACH WAUWAU UND HÄNG DIR VORNE EINEN RÜSSEL DRAN

Ich: Ich bin gerade mit dem Flugzeug über die Alpen geflogen. Meine Güte, ich meine, du hast uns alle überrascht mit deinen Elefanten!
Hannibal: Scheiß die Wand an, Alter!
Ich: Ich frag mich bloß, warum du Rom nicht gleich plattgemacht hast.
Hannibal: Das überlasse ich allein der Zeit.

Die Alpen als Hallraum für das Unmögliche: schrilles Elefantengetöse! Mitten im Winter erweitert der kathargische Feldherr Hannibal die Möglichkeiten und Grenzen militärischer Manöver. Von der iberischen Halbinsel kommend zieht er mit 50.000 Mann Fußvolk, 9.000 Reitern und gut drei Dutzend Kriegselefanten über einen heute nicht mehr genau bestimmbaren Alpenpass, um das römische Bundesgenossensystem zu zerschlagen. Was sich dabei ins Elefantengedächtnis der Menschheit einbrennt ist dies: Die größten Triumphe (das gilt auch für die Kunst) erwachsen der Unerhörtheit, aus einem großen Nein ein noch größeres Ja zu machen.


IMMER DEPP

Ich: Hilfe, wie bin ich jetzt auf dir gelandet?
Narrenschiff: Bild dir bloß nichts darauf ein.
Ich: Du glaubst zu wissen, was ich wirklich denke?
Narrenschiff: Ich glaube es nicht, ich weiß es: Tue etwas, das du gerne tust. Verbanne die Chefs aus deinem Leben, kümmere dich also um freie Zeiteinteilung. Verbringe möglichst viel Zeit mit denen, die dir am meisten am Herzen liegen. Und sieh zu, dass du jeden Tag etwas fertig kriegst.

„Im Narrentanz voran ich gehe, / Da ich viel Bücher um mich sehe, / Die ich nicht lese und verstehe.“ - - Diese, seinem Hauptwerk vorangestellte, sympathische Selbsteinschätzung stammt von Sebastian Brandt. Seine Moralsatire „Das Narrenschiff“ erschien 1494, ein paar Jahrzehnte nach der Erfindung des Buchdrucks. Egal ob arm oder reich, jung oder alt, Mann oder Frau, die menschliche Lasterhaftigkeit scheint grenzenlos. Man trifft sich auf einem der Schiffe, wenn nicht gar auf dem „Schlaraffenschiff“; die Gesellschaft erscheint als Mikrokosmos auf einer Art Arche des Irrsinns, Wiedererkennen ausdrücklich erwünscht. Fehltritte und Schwächen der Menschen treten satirisch überspitzt zu Tage. Der Mensch glaubt sich aufs Meer, die Sphäre der Götter wagen zu dürfen? Hochmut gilt als die erste und damit schlimmste der christlichen Todsünden. Das passende Donnergrollen wird nicht lange auf sich warten lassen. Schiff Ahoi! P.S.: Brandts Eingangszitat ist problemlos auf den Kunstmarkt übertragbar, man tausche bloß das Wort „Bücher“ gegen „Kunstwerke“, schon weiß man wieder, wo der Stachel sitzt.


AUS NIEDERLAGEN SIEGE MACHEN

Ich: Du bist eines der letzten Schiffe, die als tragisches Unglück Eingang ins kollektive Gedächtnis gefunden haben.
Titanic: Mmh.
Ich: Wärst du, wie vorgesehen, deiner Seewege gezogen und in die Jahre gekommen, hätte man dich ganz herkömmlich abgewrackt. Wer würde dann noch von dir reden.
Titanic: Man hätte noch größere Schiffe gebaut. Die untergegangen wären.

Die legitime Konsequenz der Seefahrt, der glücklich erreichte Hafen, die heitere Meeresstille kann genauso trügerisch sein wie ihre gegenteilige Ableitung, welche sich im Lauf der Zeit einem Wandel unterzogen hat. In der Antike und im Mittelalter galt die menschliche Grenzüberschreitung, sich unaufgefordert dem Element der Götter zu bemächtigen, als maßlose Verfehlung. Entsprechend hieß die Folge: Schiffbruch. Der Schiffbruch als Ausdruck des Scheiterns auf der Schifffahrt des Lebens. Vom Festland mochte man dieses Scheitern vielleicht sogar mit einer gewissen Genugtuung verfolgen: Siehste! Das schlechte Ende, verdient! Doch mit dem Verblassen der christlichen Rettungssymbolik, mit Beginn der Aufklärung also, wandelte sich die Metapher des Schiffbruchs. Man hat nun nicht mehr die Wahl ob Festland oder Schiff, sondern ist in jedem Fall auf den Planken; man ist schlichtweg Zeit seines Lebens eingeschifft. Das Naturelement Wasser wird entmythologisiert, von düsteren Untiefen befreit, der Mensch ist, ob er will oder nicht, ins Abenteuer Zukunft verstrickt und kommenden Sensationen und Untergängen hilflos ausgeliefert. Der Schiffbruch bleibt als philosophische Ausgangsbetrachtung ein Bild für die Situation des Scheiterns, doch, und das ist neu, er ist nun auch Impuls für einen möglichen Neuanfang; der Schiffbruch gibt als Tabula rasa den metaphorischen Rahmen zum Nachdenken über die Grundfragen der Menschheit. Aus den Trümmern alter Schiffe lassen sich neue Schiffe bauen. Und aus dem Blickwinkel Ertrinkender, man denke an Gericaults Floß der Medusa, bedeutet jedes nächste Schiff die Rettung.


KEIN AUSWEG AM ENDE DES KREISES

Ich: Stahlbeton.
Die Natur: Wird mürbe, das Metall wird rosten. Alles was Druck ausübt wird irgendwann zusammenbrechen. Das werden wir dann langsam und gemächlich überwuchern.
Ich: Was ist mit der Energie von guten Ideen?
Die Natur: Wer braucht die denn.

Verändern Exzentriker die Welt? Die Idee, einen alten Flussdampfer für den Kautschukhandel einzusetzen, ist gut. So lässt sich das Geld verdienen, das nötig ist, um mitten im Amazonas-Dschungel ein Opernhaus zu bauen, in dem Caruso singt. Schade nur, dass der passende Fluss für das Schiff hinter einem bewaldeten Bergrücken liegt. Da hat Brian Sweeney Fitzgerald, von den spanisch sprechenden Ureinwohnern Fitzcarraldo genannt, noch eine hübsche Idee: Das Schiff muss einfach über den Berg gezogen werden. Mit übermenschlicher Anstrengung der Ureinwohner gelingt der Geniestreich. Doch die kriegen plötzlich ein komisches Gefühl; zur Besänftigung der Flussgeister sabotieren sie das Projekt und lassen das für sie heilige Schiff in den Stromschnellen davon treiben. Hier zeigt sich das Ende der Schiffahrtsmetapher: Ihr Ende mündet wieder in ihrem Anfang. In der Meta-Metapher des Fitzcarraldo-Mythos ist alles drin: Egal mit welcher Anstrengung der säkularisierte Mensch das Unmögliche möglich machen kann; dem Geist der Natur, also der harmonisch getragenen Endlichkeit allen Blühens und Strebens, lässt sich, Götter hin oder her, nicht entfliehen. Witzigerweise empfand der Filmemacher Werner Herzog seinen Film selbst als eine große Metapher. Er wusste nur nicht wofür. Zudem wirft die Fitzcarraldo-Geschichte noch eine erfolgreiche künstlerische Strategie ab: Nämlich die Idee, etwas Spektakuläres realisieren zu müssen, damit man etwas noch Spektakuläreres realisieren kann. Was war zuerst da: Die hochgetriebenen Preise, die es dem Künstler ermöglichten, das kostbarste Kunstwerk der Welt produzieren zu lassen? Oder das kostbarste Kunstwerk der Welt, das dafür sorgte, dass die Preise auch für die anderen Arbeiten des Künstlers in die Höhe getrieben wurden? Ein mit Diamanten besetzter Schädel kann nicht sprechen. Fragen an Damian Hirst.


SCHÖNE AUSICHT AUF DIE KLEINE BLAUE

Ich: Und wie hoch bist du gekommen?
Ikarus: Ich konnte die Sonne schon mit Händen greifen.
Ich: So ein Mist aber auch!
Ikarus: Was solls, es gibt schlimmere Abstürze als den freien Fall.

Nach dem Untergang der Titanic 1912 relativierten Millionen Tote des 1. Weltkriegs die Schiffskatastrophe. Parallel dazu verliert das Schiff mit dem Aufkommen des zivilen Luftverkehrs seine Bedeutung als Massentransportmittel. Heute heißt die Herausforderung: Aufbruch der Menschheit ins All. Nicht mehr das, was weit ausgebreitet vor einem liegt, gilt es zu entdecken, sondern das was über einem ist, womit der Frage des woher und wohin, des Sinns und Ziels, letztlich der Frage nach Gott Vorschub geleistet wird. Im Höher-schneller-weiter-Prinzip des drängenden Menschen ist kein Innehalten vorgesehen. Es gehört zu den Zerrissenheiten der heutigen westlichen Gesellschaften, sich aktiv von dem weg zu bewegen, wo man eigentlich hin möchte: Die allumfassende Geborgenheit rückt in weitere Ferne.
Hätten die Aktivisten Wolfgang Aichner und Thomas Huber ihr Projekt zeitgemäßer ausgerichtet, hätten sie kein Schiff, sondern eine Rakete über die Alpen ziehen müssen. Doch die Schiffsmetapher ist offener, einladender. Sie impliziert, dass alle in ihr Platz haben. Ihr Schiff ist aus dem Material der Postmoderne, aus Kunststoff, und es hat keinen Mastbaum, also kein Kreuz, das den Gedanken an christliche Erlösung nahe legt. Ihr Projekt soll auch als Statement gegen die auf dem Kunstmarkt gängige Praxis verstanden werden, opulente Kunstwerke global hin- und her zu verfrachten, was aus Sicht der Ökobilanz hinterfragenswert scheint. Vielleicht bedarf es eines Schiffes auf dem Trockenen, um zu zeigen, wie es global um die Menschheit steht: Die Mittel werden knapp und man kommt irgendwie nicht richtig weiter; das Bedrohliche ist zum Bedrohten geworden. Doch das Blatt ist gerade dabei, sich wieder zu wenden… Dieses, unser Schiff dennoch voran zu treiben, darin liegt die Aufgabe und Krux der nächsten Generationen. Da die Künstler sich um und am Boot bewegen, nicht im Boot, haftet ihrer Bergwanderung mit Schiff etwas Schicksalhaftes an. Das Los der Menschheit liegt, so scheint es, für einen künstlich geschaffenen Moment in ihren Händen.