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Vivian Khara - Passing the forrest

Momente der stillen Aufregung

- Anmerkungen zu den Bildern Vivian Kahras -

Die Bildwelten Vivian Kahras machen dem Betrachter ein verlockendes Angebot. Er ist eingeladen, sich in ihnen aufzuhalten, umzusehen, etwas zu entdecken. Sie geben dem, dessen Blick aus einer hektischen Alltagsrealität in sie hineinfällt, eine angenehme Empfindung.

Gezeigt werden Außenräume – der Blick kann weit in sie dringen, sich im Nichts verlieren. Diese Räume suggerieren Übersicht, Tiefe und Fluchtmöglichkeit. Ihr Farbspektrum entzieht sich dem der grellbunt angepriesenen Warenwelt. Kühle, zarte Grüntöne werden mit einem Pastellspektrum gegen schwarze Tiefen und weiße Höhen gesetzt. Ein leuchtendes Fluidum, ein phosphoreszierender Widerschein durchwirkt die Szenerien; eine Schimmerwelt, in der man sich gern aufhält; vielleicht, weil man die auf den Bildern dargestellten Szenen der Einsamkeit heutzutage schon als schätzenswert begreift. Für eine Schnappschusslänge geht die Verlorenheit Hand in Hand mit dem Glück; allein und fern in die Landschaft eingeschobene Figuren, oft Sportler, erscheinen aus einem Action-Vorgang herausgerissen. Das Abbild ihres Erlebnishungers gerät zu einem Augenblick der Besinnlichkeit; der Mensch geht in der Landschaft auf, wird eins mit ihr, in diesem Moment der stillen Aufregung.

Fehlt der Mensch als direkte Erscheinung, so führt doch immer eine Spur zu dessen Anwesenheit, oft so, dass der Betrachter stellvertretend für die absente Bildfigur dessen Platz einnimmt (und also noch unmittelbarer die Bildinformation erfährt).

Kühn wird diese Information sofort wieder kommentiert, indem sie in Frage gestellt und konterkariert wird: durch weiße Flächen, Flecken, Leerstellen, Löcher, die den Eindruck einer fertigen Unfertigkeit hervorrufen. Die Bilder verschweigen ihre Blessuren nicht, im Gegenteil, sie tragen nicht selten das Stückwerk, aus dem sie entstanden sind, offen zur Schau: Die Bildgegenstände scheinen organisch in das Bild hineinzuwachsen, um es so als ein Ganzes erscheinen zu lassen. Dieser Vorgang verläuft nicht ohne Reibungen: hier wurde ebenso gezeichnet, aquarelliert, in Öl gemalt, gesprayt – wie wegradiert, übermalt, verwischt, verworfen, geschnitten und geklebt. Hier wurde mit Bildern in einem Bild gelebt. Sind mit oben genannten Bildkonstanten gewisse Qualitäts- und Kontrollinstanzen für den Schaffensprozess benannt, so ist der Akt des Geschehenlassens ebenso elementarer Teil von Vivian Kahras Bildschöpfungen. Durch die Einbeziehung des Zufalls erhalten die Arbeiten eine Komponente von Impulsivität und Freiheit, erweitern jeden Formenkanon. Im gehaltenen Schwebezustand aus Suchen und Gefundenhaben offenbart sich ein ausgetüfteltes Kalkül: zwischen Information und Nicht-Information erscheint ein Zusatzraum, der bereit ist, die Gedanken der Betrachter in sich aufzunehmen. Die präsentierte Vielschichtigkeit der unwirklichen Wirklichkeit, die Verbundenheit von Natur und aktivem Empfinden in ihr, die entrückte Farbigkeit, das mittig zwischen Sprechen und Schweigen eingependelte Waagenzünglein, die zum Selbsthineindenken anregenden Löcher, Leerstellen und weißen Flecken ermöglichen eine Spannungsaufladung, die über die Rahmengrenze hinausscheint.

Vivian Kahras Bilder tragen die Glücksutopie in sich, Menschen in Landschaften aufgehen zu lassen, doch der Preis dafür ist offenbar: Wer will, kann den Abschied von jedweder Geselligkeit auch als Ausdruck von Vereinsamung lesen, als menschenfeindlich und nicht erstrebenswert. Ein kühler Windzug wird spürbar. Eine nahe Jenseitigkeit.


(In: Katalog Gottfried Brockmann Preis, Stadtgalerie Kiel 2004)
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